Tod in Seide
Gegenpol zu den weniger angenehmen Seiten des Lebens, denen ich in meiner Arbeit täglich ausgesetzt war. Hätte ich das Talent gehabt, wäre ich nichts lieber geworden als Primaballerina beim American Ballet Theatre.
Also lehnte ich mich, als die Kristallleuchter nach oben gezogen wurden und der Vorhang sich öffnete, in meinem Sitz zurück, bereit, mich in diese Fantasiewelt entführen zu lassen. In einem seiner seltenen Auftritte tanzte Victor Barbee mit der wunderbaren Julie Kent den Pas de Deux aus Schwanensee . Die Zuschauer quittierten es mit über sechs Vorhängen, und es gelang mir, eine halbe Stunde lang nicht an Denise Caxton zu denken. Den zweiten Akt bestritten Alessandra Ferri und der glänzende Julio Bocca mit der Balkonszene aus Romeo und Julia , und angesichts der Perfektion ihrer Darbietung vergaß ich alles um mich herum.
Es war schon halb elf, als es nach Kathleen Moores und Gil Boggs’ sprühendem Rodeo in die Pause läutete, nach der das »Königreich der Schatten« aus La Bayadere auf dem Programm gestanden hätte. Ich befürchtete, dass ich bei der Musik von Minkus und den unzähligen Schatten in weißen Tutus in meinem Sitz einschlafen würde, und verabschiedete mich von Natalie. Ich wollte nach Hause und dem Andrang im Parkhaus zuvorkommen.
Ich kramte in der Handtasche nach meinen Autoschlüsseln und sagte mir, dass ich den rot gestreiften Abschnitt hinter Säule 5 wieder finden müsse. Der Weg zum Auto kam mir länger als vorhin vor, aber seitdem waren ja auch vier Stunden vergangen, und ich war wirklich am Ende meiner Kräfte. Ich registrierte, dass schon viele Parkplätze frei waren. Normalerweise ärgerte es mich, wenn Theaterbesucher die Vorstellung frühzeitig verließen, doch heute gehörte ich auch zu denen, die sich mit Schuldgefühlen davonstahlen.
Ich ließ den Wagen an, schaltete das Licht ein, bugsierte den Jeep im Rückwärtsgang aus dem Parkplatz und fuhr in Richtung Ausgang. In dem Moment, in dem ich auf die Rampe einbog, schoss hinter einer Reihe geparkter Autos ein Land Cruiser, der größer war als mein Jeep, hervor und direkt auf mich zu.
Ich trat mit voller Wucht aufs Gaspedal, riss das Auto nach links und raste die Spur hinunter, während mir das Auto dicht an der Stoßstange war. Ich ging kaum vom Gas runter, als ich den Jeep durch eine Lücke zwischen den geparkten Autos hindurchfädelte und dann sofort wieder nach links herumriss. Das dunkle Verfolgerauto nahm den langen Weg und versuchte, mir an der Auffahrt zur Rampe den Weg abzuschneiden.
Während ich mit der rechten Hand lenkte, drückte ich mit der linken unentwegt auf die Hupe, in der Hoffnung, dass jemand auf mein Dauerhupen aufmerksam werden würde. Ein Jaguar mit zwei Pärchen fuhr vor meinem Verfolger aus einer Parklücke. Ich schlingerte weiter und betete, dass am Ende der Rampe ein Parkwächter sein würde.
Wie jedes Mal, wenn ich diese Tiefgarage verließ, zögerte ich und überlegte, welche Ausfahrt um diese Zeit offen war. Automatisch trat ich auf das Bremspedal. Aber diesmal war jede Sekunde kostbar. Gerade als ich mich entschlossen hatte, nach rechts abzubiegen und die Ausfahrt zur Sixty-fourth Street zu nehmen, wo es eine Bushaltestelle gab und wo nach einer Vorstellung immer sehr viel los war, kam der dunkle Wagen hinter mir die steile Rampe heruntergerast, überholte mich links und schnitt mir den Weg ab. Der Wagen blieb stehen, und ein Mann mit einem Strumpf über dem Kopf stieg aus und rannte mit einem blinkenden Eisengegenstand in der Hand auf mich zu.
Das führerlose Fahrzeug stand zwischen mir und der Schranke, die mir den Weg nach draußen versperrte. Als der Mann mit der linken Hand auf die Kühlerhaube meines Jeeps schlug, trat ich aufs Gas und fuhr über die Bordsteinkante des erhöhten Mittelstücks, das die Einfahrt- von der Ausfahrtspur trennte. Mit Vollgas durchbrach ich die Schranke und preschte die Auffahrt hinauf zur Sixty-fourth Street.
Wild hupend scheuchte ich die Fußgänger, die zu einem sommerlichen Abendspaziergang auf dem Broadway unterwegs waren, aus dem Weg. Ich brachte den Jeep kurz zum Stehen, um mich zu vergewissern, dass ich grünes Licht hatte, schlängelte mich über die belebte Kreuzung in Richtung der Durchfahrtsstraße durch den Central Park und hielt nicht mehr an, bis ich auf der East Side angekommen war.
18
»Du fährst heute Abend nicht allein nach Hause, Coop. Keine Widerrede.«
Es war Mitternacht, und ich saß mit Mike und Mercer an einem der
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