Tod in Seide
County geboren und aufgewachsen war, waren meine Eltern und Brüder oft in der Stadt. Aber wenn ich nach den oft aufreibenden Ermittlungen Erholung und Ruhe finden wollte, dann kam ich hierher auf die Insel.
Ich hatte in meinem Leben sehr viel Glück gehabt. Ich war eins von drei Geschwistern – das einzige Mädchen –, und die Ehe meiner wunderbaren Eltern war nicht nur noch immer intakt, sondern auch sehr glücklich. Dank des Treuhandvermögens, das ich der Cooper-Hoffman-Klappe, der Erfindung meines Vaters, verdankte, hatte ich eine erstklassige Ausbildung, zuerst am Wellesley College und danach an der University of Virginia Law School, genossen. Da ich mich für das Studium nicht bis über beide Ohren verschulden musste, konnte ich im Gegensatz zu vielen meiner Kollegen, die die Staatsanwaltschaft verließen, um eine lukrativere Laufbahn einzuschlagen, meinen Traum vom Staatsdienst verwirklichen. Und auch sonst konnte ich mir deshalb so manchen Luxus gönnen, den ich mir ansonsten nicht hätte leisten können, wie zum Beispiel mein Faible für Reisen oder alten Schmuck oder meine Sammlung von Erstausgaben.
Doch obwohl ich viele der schönsten Augenblicke meines Lebens mit Vineyard verband, barg die Insel auch meine schmerzlichsten Erinnerungen. Adam Nyman, der Arzt, in den ich mich während meines Jurastudiums unsterblich verliebt hatte, war jeden Sommer hierher gekommen. Als wir uns in meinem letzten Studienjahr verlobt hatten, kauften wir gemeinsam dieses Haus. Es hatte der Witwe eines Fischers gehört, dessen Vorfahren im siebzehnten Jahrhundert zu den ersten Siedlern der Insel gehört hatten. Es hatte mir viel Freude gemacht, das Haus zur Feier unserer Hochzeit neu einzurichten. Eine hier ansässige Künstlerin hatte die Wände mit pastellfarbenen Mustern verziert, die sie wiederum von einem antiken handgemalten Limoges-Porzellangeschirr kopiert hatte, das uns meine Mutter zur Verlobung geschenkt hatte. Die stimmungsvollen Landschaftsbilder einheimischer Künstler, die Adam im Laufe der Jahre gesammelt hatte, hatte ich neu rahmen und im ganzen Haus aufhängen lassen.
All unsere Verwandten und Freunde waren am Hochzeitswochenende bei Freunden und in Gasthäusern auf der ganzen Insel verstreut untergebracht gewesen. Das Haus und die Gärten hatten nie schöner ausgesehen als in jenem üppigen Sommer, dem ein ungewöhnlich regnerischer Frühling vorausgegangen war.
Und dann kam am Vormittag der Anruf, der mich am Boden zerstörte. Adam hatte seine letzten Visiten in Charlottesville beendet und war spät abends aufgebrochen, um die Nacht hindurch zur Insel zu fahren. Als die Staatspolizei anrief, war meine Mutter am Apparat gewesen, und sie und Nina setzten mich aufs Bett, um mir zu sagen, dass Adam auf einer Brücke in Connecticut von einem anderen Wagen gerammt und über die Brüstung gestoßen worden sei; sein Auto war auf den Felsen im Fluss unter der Brücke zerschellt.
Viele Jahre hatte sich alles in mir verschlossen, zumindest war es mir in der Zeit so vorgekommen. Ich vermied es, mich wieder auf jemanden einzulassen, aus Angst, dass mir etwas, was ich liebte, in dem Moment, in dem ich am glücklichsten war, wieder genommen werden würde. An den Wochenenden, an denen ich mich überwinden konnte, hierher zu kommen, wanderte ich ziellos durch das Haus und stellte mir vor, wie Adam die Veränderungen, die ich darin vorgenommen hatte, gefallen hätten.
In den zehn Jahren, die seitdem vergangen waren, war weder der Schmerz über den Verlust schwächer geworden noch die Erinnerung daran, wie tief und leidenschaftlich unsere Liebe gewesen war. Doch ich hatte wieder gelernt zu lieben, ohne allerdings zu vergessen, dass ich alles dafür gegeben hätte, gemeinsam mit Adam zu leben.
Ich hatte seitdem im Haus einiges verändert. Ich wollte eine andere Atmosphäre schaffen, um dem neuen Lebensabschnitt gerecht zu werden. So hatte ich im letzten Winter mit Hilfe eines Anbaus das Wohnzimmer vergrößern und einen riesigen, schiefergedeckten Kamin sowie riesige Fenster einbauen lassen, durch die man hinaus auf das Meer und den Himmel sehen konnte. Auf Ninas sanftes Drängeln hin hatte ich zu Ehren ihres bevorstehenden Besuchs am Labor-Day-Wochenende Anfang September einen Architekten damit beauftragt, ein komplett neues, wahrlich dekadentes Bad inklusive einer Dusche und allen Schikanen und Whirlpool zu bauen. Nach und nach hatte ich es geschafft, wieder hier sein zu können, ohne das Gefühl zu haben, Adams
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