Tod in St. Pauli: Krimi Klassiker - Band 1 (German Edition)
Paul wasserhelle, weitgeöffnete Augen.
Aber schon im nächsten Moment glitt sein Blick über Paul hinweg, als wäre er ein Möbelstück. Der Mann zerrte den übernächsten Barhocker aus der Reihe und sah sich nach Susann um. Sie wartete immer noch auf Pauls Erklärung.
Er rutschte von seinem Hocker und stellte sich neben sie, um zu sehen, ob er größer war als sie.
»Ja?« fragte sie leise.
Sie reichte ihm bis an die Stirn. »Ich bin –«, begann er und wollte sagen: ein Freund von Hontar, aber das Wort gefiel ihm nicht. »Hontar hat mir gesagt, wo ich Sie treffen kann.«
»Hontar?« Sie lächelte und musterte ihn neugierig.
»Joss, Ihr Bruder. Wir haben zusammen ... Ich meine, wir haben uns kennengelernt.« Er brach ab, weil er merkte, daß er seine Sätze nicht mehr so herausbrachte, wie er sie geplant hatte.
Sie lachte belustigt auf und sah auf die drei Cognacgläser. Er schob ein Glas über die Theke, bis es vor ihr stand. Sie nickte und trank es schnell aus. Er schob ihr schweigend das zweite Glas hin. Sie nahm es und hielt es wie einen kleinen Vogel in der gewölbten Hand.
Der Mann, der mit ihr gekommen war, beobachtete jede ihrer Bewegungen mit angespanntem Gesicht. Auf seiner Stirn glitzerten Schweißtröpfchen. Ohne sie aus den Augen zu lassen, bestellte er bei Pete zwei Cocktails, deren Namen Paul noch nie gehört hatte.
Susann trank den zweiten Cognac aus und setzte sich auf den Hocker neben Paul. Er schwang sich auch hinauf und schob das dritte Glas zu ihr hinüber.
Petes Gesicht war nichtssagend, als er dem Dicken die beiden hohen Cocktailgläser reichte. Der nahm die Kelche unbeholfen in die Hand und stapfte damit auf die andere Seite von Susann. Er stellte sie vor ihr ab und kletterte umständlich auf den Hocker neben ihr.
Paul sah fasziniert auf die beiden beschlagenen Gläser, die Zuckerkruste am Rand und die Orangenscheiben, die wie Wagenräder auf der Kante saßen. Susann trank den dritten Cognac, ohne sich nach ihrem milchighellen Cocktailglas umzusehen.
»Susie, bitte!« sagte der Mann und legte eine Hand auf ihren Arm. Sie ließ die Hand dort liegen, wie man ein Handtuch über dem Arm hängen läßt, und sah unverwandt Paul an.
Die Stimme des Mannes störte Paul. Nicht, weil sie laut oder unangenehm war, sondern weil aus ihr genau die Art von Verzweiflung herausklang, die er bis obenhin hatte. Er bestellte sich eine neue Cola und trank sie mit gierigen Schlucken. Den Cognac schob er wieder Susann hin.
»Was läßt Joss mir ausrichten?« fragte sie, ohne das neue Glas zu berühren.
»Schöne Grüße.«
»Sonst nichts?« Sie streckte den Zeigefinger aus und zog einen schmalen Streifen in die kalten Wasserperlen auf ihrem Cocktailglas.
»Doch.« Paul sah zweifelnd zu dem Mann hinüber, der an Susann vorbei zurückstarrte. »Aber nicht hier!«
Der Mann preßte plötzlich seine Hand über Susanns Ärmel zusammen. »Bitte, Susie, wir wollten doch ...«
Sie sprach über seine Stimme hinweg; als hätte sie ihn nicht gehört: »Muß ich etwas erfahren? Ist es wichtig?«
»Ja, es ist wichtig.«
Der Mann versuchte, sie zu sich herumzudrehen. »Susie, bitte, du kannst doch jetzt nicht einfach ...«
Sie drehte sich zu ihm um, nahm seine Hand, legte sie auf die Theke und sagte lächelnd: »Du weißt doch, daß ich es nicht mag, wenn du mich Susie nennst!« Dann nickte sie Paul kurz zu und rutschte von ihrem Barhocker.
»Susie!« rief der Mann und holte hastig seine Brieftasche heraus, um Pete zu bezahlen. »Susie, warte doch!«
Paul hörte seine Stimme, als er ihr an den Kellnern vorbei durch den Gang und die Treppe hinauf folgte. Draußen blieb sie stehen und sagte atemlos:
»Komm, wir laufen!«
Sie rannten die ganze Straße hinunter, bogen um die Ecke, liefen an dem Kino, dem Automatenladen und den Bars vorbei bis zu den Bänken der Grünanlage.
»Ich wohne dort drüben, in dem Neubaublock.« Sie deutete auf die dunklen Bäume, hinter denen die Vierecke der Fenster leuchteten.
»Ich weiß.«
Sie gingen nebeneinander über den knirschenden Kiesweg an den Bänken vorbei, auf denen dicht nebeneinander die Schatten der Liebespaare zu erkennen waren.
Paul spürte das Mädchen neben sich, aber ein anderes Gefühl war stärker. Unsicher sah er sich um.
Jemand beobachtete ihn ... Ringsherum waren die dichten Büsche und Bäume, dahinter der nächtliche Verkehrslärm, die Geräusche des nahen Hafens und ab und zu ein Flüstern von den Bänken. Kein Mensch hatte hier Interesse für
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