Tod in St. Pauli: Krimi Klassiker - Band 1 (German Edition)
Titelseite ab und faltete sie zusammen. Die Glocke über ihm schrillte und schwieg in regelmäßigen Abständen.
Als Paul ein kleines Papierröllchen fertig hatte, reckte er sich, kam aber nicht bis zu der Glocke hinauf. Susann schob ihm einen Stuhl hin, er kletterte hinauf und schob das Papierröllchen zwischen Glocke und Klöppel.
Es läutete wieder, und er zuckte vor dem schwingenden Metall zurück, aber das einzige Geräusch war ein unterdrücktes Knurren.
Paul stieg von dem Stuhl. Susann wich nicht aus. Er stand plötzlich dicht neben ihr. Es war dunkel; sie hielt den Kopf zurückgelegt. Er beugte sich über sie und hob eine Hand, aber sie glitt im gleichen Moment zurück und sagte gleichmütig: »Gut, jetzt kann er uns wenigstens nicht mit seinem Läuten verrückt machen. Komm!«
Paul trottete hinter ihr ins Wohnzimmer und schlug die Tür mit einem Fußtritt zu. »Wer ist er?«
»Bitte?« Susann hob fragend die Augenbrauen und setzte sich auf die Kante der Couch.
Paul prägte sich jede Einzelheit ihres Gesichtes ein: die Nase, den Mund, die grünen Augen und das helle Haar. Er fand sie schön. Für sie bin ich ein Baby, dachte er erbittert. Dann fiel ihm der Dicke wieder ein. Geld also ... »Wer der Kerl ist!« fragte er grob.
Sie verzog den Mund. »Alfred Kodell. Verhör beendet?«
»Hat er eben geläutet?«
»Vermutlich. Ich kann auch nicht durch Holz sehen.«
»Was will er von Ihnen?«
»Bitte?« fragte sie ein zweites Mal, dann lachte sie laut. »Und was geht dich das an, wenn ich fragen darf?«
Er atmete tief durch. »Nichts«, sagte er leise, »es geht mich nichts an.«
»Schon gut. Komm, setz dich her!«
Widerwillig hockte er sich ans andere Ende der Couch.
»Kodell ist ein alter Freund von mir. Er hat das meiste von dieser Wohnung bezahlt. Zufrieden?«
»Der Bursche sah aber nicht nach einem Haufen Geld aus«, brummte er.
Susann drückte ihre Zigarette aus.
»Viel oder wenig, das ist relativ. Immerhin hat er für mich einen Haufen locker gemacht. Allerdings ist jetzt Schluß, er hat nichts mehr zu bieten.«
»Er ist ganz schön verrückt nach Ihnen.«
»Und du?«
»Ich?« fragte er gepreßt.
»Was hast du mir zu berichten? Was hat Joss dir aufgetragen?«
»Nichts ...« Paul räusperte sich und wiederholte: »Nichts. Er hat nur gesagt, daß Sie mir helfen würden, wenn ich in einer Klemme stecke.«
»Du liebe Zeit!« Sie sank zurück. »Und du bist in einer Klemme, du brauchst gar nichts weiter zu sagen. Ich seh es dir an, du steckst mittendrin!«
Er erzählte ihr alles.
Er fing ganz von vorn an, vor zwei Jahren, als er noch ein Neuling gewesen war und ihm das laute Gehabe von Harald und seiner Mopedbande imponiert hatte. Monatelang hatte er alles mögliche angestellt, um zu ihnen zu kommen, und eines Tages hatten sie ihn endlich mitmachen lassen. Als Wache bei einem kleinen Überfall. Als Mutprobe. Alles sollte ganz harmlos sein – ein leerer Laden, eine volle Kasse.
Aber der Laden war nicht leer. Nur Paul sah nichts davon; er stand auf der Straße und paßte auf. Dann hörte er von drinnen plötzlich laute Stimmen, einen dumpfen Fall, und lief hinein, um zu sehen, was es gab.
Es war dunkel, Paul sah zuerst nicht viel, aber dann erkannte er Harald, der einen Schlagring in der Hand hielt. Hinter ihm stand Fred. Und vor ihnen lag ein Mann, bewegungslos.
Sie rannten weg, aber Paul schaltete nicht so schnell. Er kapierte überhaupt nicht, was los war. Er starrte auf die aufgesprungene Ladenkasse und die Bündel von Papiergeld, die herausquollen. Er bückte sich, um dem Mann aufzuhelfen, aber er war zu schwer. Dann sah er den Schlagring, der am Boden lag. Harald mußte ihn verloren haben.
Und so erwischte ihn die Polizei.
Aber Paul sagte kein Wort. Er kam sich interessant und wichtig vor und spielte den großen Gangster. Er träumte davon, daß Harald und seine Leute ihn herausholen würden, und was für eine Rolle er dann spielen würde.
Als er endlich aufwachte, war es zu spät. Der Ladeninhaber war im Krankenhaus gestorben, die Anklage lautete auf Totschlag, die Verhandlung war vorbei, das Urteil gesprochen. Paul redete, aber jetzt glaubte ihm niemand mehr.
Zwei Jahre lang speicherte er Haß und Verbitterung auf.
Paul hatte geendet.
Susann wartete eine Zeitlang, dann fragte sie: »Und du willst dich an ihnen rächen? Jetzt? Und ich soll dir dabei helfen?«
»Ich hatte es vor«, sagte er fast unhörbar. »Die ganzen zwei Jahre habe ich nur daran gedacht.«
Susann
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