Tod in St. Pauli: Krimi Klassiker - Band 1 (German Edition)
dauernd darauf wartet, loszulachen ... Neugierige Ziege! dachte er. »Elektriker«, sagte er.
»Ich arbeite in dem neuen Schuhladen am Bahnhof, kennen Sie ihn? Tessys Schuhsalon. Ich bin gern mit Leuten zusammen, und dann bekomme ich auch noch Schuhe mit Rabatt!« Sie wippte zum Beweis mit dem Fuß, an dem ein hochhackiger blauer Schuh saß, und schüttelte ein paar Kekse aus der Packung.
Wenn sie nur endlich den Mund halten würde, dachte Paul. Am besten wäre es, ich würde sofort von hier verschwinden. So eine Schnapsidee ...
Ja, der schlaue Paul! Da habe ich mich aber herrlich in die Tinte geritten. Hier bin ich ja schlimmer dran als im Knast! Von allen Seiten eingesperrt und überwacht – dagegen war mein altes Zimmer ja das reinste Hilton ... Wenn ich nur wenigstens von der neugierigen Ziege wegkäme, damit sie mich nicht noch mehr ausquetscht ... Jetzt stehe ich auf!
Er blieb sitzen. Das Bett unter ihm war weich, die Kekse stillten seinen Hunger, und der Kaffee wärmte ihn.
Paul schaute zu dem Mädchen. Der rote Lampenschirm verstärkte noch die Farbe ihrer Haare. »Helga, und wie noch?« fragte er plötzlich und wunderte sich selbst darüber.
»Helga Lüders. Wo arbeiten Sie?«
»Ich fange erst am Montag an«, sagte er lahm und bereute es sofort. »Ach so ...« Sie brach ab und runzelte die Stirn. »Hat Herr Kulmhof Ihnen die Arbeit besorgt?«
Paul stand abrupt auf. »Ja.« Er ging zur Tür.
»Ist er Ihr Freund?« fragte sie unerbittlich weiter.
Paul drehte sich um. »Nein, er ist nicht mein Freund – ganz und gar nicht!« Er machte eine kleine Pause und stieß hervor: »Er ist mein Bewährungshelfer!« Seine Hand lag schon auf der Klinke, aber er ging nicht hinaus.
Sie lachte hinter ihm. Sie lachte aus vollem Hals und bog sich dabei zurück, immer wieder von unbändigem Lachen geschüttelt.
»Hören Sie auf, verdammt noch mal!« brüllte er.
Sie war sofort still, aber ihre Augen lachten noch immer, als sie sagte: »Sie hätten nur Ihr Gesicht sehen sollen, als Sie das sagten ... ‹Mein Bewährungshelfer›. Als würden Sie sagen, ‹mein Holzbein› oder ‹mein Glasauge› ... Sie haben Ihren Kaffee noch nicht ausgetrunken.«
Paul ging langsam zum Bett zurück und hockte sich mürrisch auf den Rand. Er drehte die Tasse zwischen den Fingern und nagte an seiner Unterlippe. »Das finden Sie wohl alles mächtig interessant, wie?«
»Nein, nicht besonders.«
Er sah nicht auf.
»So? Ich habe gesessen. Im Gefängnis. Zwei Jahre ... Wollen Sie wissen, warum?«
»Nein.«
»Was? Sie wollen einmal etwas nicht wissen? Ich sag's Ihnen trotzdem: wegen Totschlag!«
»Und?« Ihr Lachen war verschwunden.
»Was, und?«
»Haben Sie einen totgeschlagen?«
Paul mußte an Walter denken. »Ich war mit dabei«, sagte er leise. »Es war ein Einbruch, und ich war dabei. Ich habe mitgemacht.«
»Aber totgeschlagen hat ihn ein anderer?« Ihre Augen waren ernst und forschend auf ihn gerichtet.
Wütend blaffte er sie an: »Jetzt hören Sie schon auf! Gehen Sie doch zur Heilsarmee!«
»Nur weiter!« zischte sie. »Tut's Ihnen gut, ja? Na, dann nur weiter damit – na los doch!«
Sie hatte noch etwas sagen wollen, aber plötzlich machten vor der Tür schlurfende Schritte halt.
»Ruhe!« krächzte die heisere Stimme. »Ich bitte mir Ruhe aus! Es ist schon fast Mitternacht!« Die Schritte entfernten sich geräuschvoll; eine Tür wurde zugezogen.
Helga begann zu kichern. »Die alte Vettel! Eigentlich sollte sie ja etwas unternehmen, wenn man nachts Herrenbesuch auf dem Zimmer hat, aber sie will es lieber nicht so genau wissen, sonst müßte sie uns rauswerfen, und wer zahlt ihr dann die Miete?«
Paul sah sie an. Er mußte gegen seinen Willen grinsen. »Vermutlich kann sie jetzt nicht schlafen, weil ihr Gewissen sie wachhält.«
Helga lachte laut. »Auf Ihren Vorgänger hatte sie ein Auge geworfen, aber er hat die Flucht ergriffen.«
»Wer wohnt denn sonst noch hier?«
»Ein alter Mann, aber der ist im Moment in Braak bei seinem Sohn, und Kröger; der ist Vertreter und sowieso fast nie da.«
»Das kann ich gut verstehen.«
Sie schwiegen verlegen, dann stand Paul wieder auf.
»Es ... Es tut mir leid, wegen vorhin«, sagte er.
Sie zuckte die Achseln. »Reden wir nicht mehr drüber. Es war genauso meine Schuld.«
»Fangen Sie bloß nicht wieder an, edel zu sein!« warnte er.
»Raus aus meinem Zimmer!« forderte sie mit ausgestrecktem Arm.
»Schon besser!« lobte er. »Vielen Dank für den
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