Tod in Wacken (German Edition)
Festivals gehören. Ist das richtig?«
»Und wie. Ich habe bereits meine Sachen gepackt. Ich reise heute Abend zu meiner Schwester nach Bonn. Mein Nervenkostüm – das sich eigentlich einer robusten Gesundheit erfreut – hält dieser grauenhaften Geräuschkulisse nicht stand. Und überall diese grässlichen Ghettopuster! Ich entfliehe diesem Sodom seit Jahren. Mein Gips erschwert zwar dieses Jahr die Reise, aber hier muss ich weg.«
»Ja, ist nicht jedermanns Musik, die da so aus den Ghetto pustern kommt«, gab Thilo ihr spöttelnd recht. »Die Geschmäcker sind halt verschieden.«
»Dieses Gedröhne bezeichne ich nicht als Musik.«
»Frau Karlmann«, ging Lyn dazwischen, »fallen Ihnen noch mehr Menschen ein, die das Festival – nun, sagen wir einmal – nicht schätzen. Oder gar hassen?«
Renate Karlmann verfütterte einen weiteren Keks an ihren Hund. »Hassen? Das ist ein starkes Wort. So weit würde ich nicht gehen. Aber enervierend ist es für sehr viele. Meiner Nachbarin wurde im vergangenen Jahr der Apfelbaum zerstört, weil alkoholisierte Halbstarke glaubten, darin Tarzan spielen zu müssen. Die Unverschämtheit einiger dieser Individuen ist es ja, was einem die Haare zu Berge stehen lässt. Sie machen vor Privatgrundstücken nicht Halt.«
Lyn war das nicht neu. Natürlich hatte es in all den Jahren Anzeigen wegen Ruhestörung und Belästigungen anderer Art gegeben, aber wegen dieser Kinkerlitzchen brachte wohl niemand drei Menschen um.
»Ja, und dann gibt es noch den Herrn Beutler«, fuhr Frau Karlmann fort. »Dessen Abneigung übertrifft die meine noch um ein Vielfaches.«
»Ach ja?« Lyn sah sie interessiert an. »Wie lautet sein Vorname?«
»Joost. Er heißt Joost Beutler. Viele halten ihn für einen Spinner, dabei ist er ein sehr gebildeter Mensch. Eigen, aber angenehm. Dass er diese Metaller «– sie sprach das Wort mit der größtmöglichen Verachtung aus – »für eine Art teuflische Sekte hält, kann man ihm nicht wirklich übel nehmen. Auch wenn es der Realität wohl nicht entspricht … Aki, nein! Bleib schön bei Frauchen.« Sie klopfte auf das Sofa, von dem der Hund gerade mit einem Satz heruntergesprungen war. Er nahm Kurs auf Lyn.
Notgedrungen strich Lyn ihm kurz über den Rücken, als er schwanzwedelnd neben ihrem Sessel stehen blieb. »Braver Hund … Ist das ein Mischling?«
»Himmel, nein. Akihito ist ein Japan Chin. Komm, Aki, bei Fuß!«
Zu Lyns Bedauern war Aki Gehorsam fremd. Stattdessen begann er, ihre Zehen in den Sandalen abzulecken. Krampfartig zog sie die Zehen ein, als sie die raue Zunge spürte. »Geh schön zu Frauchen.« Sie schob ihn – der Tatsache geschuldet, dass er mit derselben Zunge gerade sein Geschlechtsteil abgeschlabbert hatte – unsanft mit dem Fuß beiseite.
»Joost Beutler neigt zu einem gewissen religiösen Fanatismus«, fuhr Renate Karlmann fort, nachdem der Hund es sich wieder neben ihr bequem gemacht hatte. »Das fing einmal ganz harmlos an, aber er steigert sich von Jahr zu Jahr. Früher malte er Protestplakate und stand vor den Eingängen zum Festivalbereich. Dann hat er die Leute direkt auf dem Gelände angesprochen und versucht, sie zu seinem Gott-Verständnis zu bekehren.«
»Woher wissen Sie das alles, wo Sie doch jedes Jahr verreisen?«, fragte Thilo.
»So was spricht sich herum im Dorf. Und meine Nachbarin, Frau Suhrkamp, weiß auch viel zu erzählen. Sie lässt es sich nicht nehmen, jedes Jahr ein Mal während des Geschehens ihre Runde zu drehen. Wohlgemerkt, Frau Suhrkamp ist achtundsiebzig Jahre alt. Im letzten Jahr soll Herr Beutler auf dem Innenfeld ausgerastet sein. Weinkrämpfe soll er gehabt und sich erbrochen haben. Die Sanitäter haben sich um ihn gekümmert und dachten, dass er sturzbetrunken sei, aber er war stocknüchtern. Herr Beutler trinkt nicht. Vielmehr hat er sich wohl aus Ekel erbrochen. Aus Ekel vor den Leuten um ihn herum. Das soll er jedenfalls behauptet haben. Und ich glaube es ihm aufs Wort.«
»Können Sie uns sagen, wo Herr Beutler wohnt?«, fragte Thilo. »Und was er beruflich macht?«
»Natürlich, Thilo. Dies ist schließlich ein Dorf. Er wohnt am Ende der Ostlandstraße. Tja, und sein Beruf ist wohl Heilpraktiker.«
»Nun, dann vielen Dank, Frau Karlmann. Ich denke, wir sind dann durch?« Thilo sah zu Lyn, und die nickte. Thilo stand auf. »Ihre Kekse sehen lecker aus. Selbstgebacken?«
Frau Karlmann nickte.
»Darf ich?« Thilo nahm ein Plätzchen, steckte es in den Mund und verzog Sekunden
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