Tod in Wacken (German Edition)
Sie mich bitte entschuldigen. Ich habe noch einen Schüler, der gleich eintreffen wird. Oder haben Sie noch weitere Fragen?«
»Fürs Erste nicht.« Lyn stand ebenfalls auf. »Welche Art Unterricht geben Sie?«
»Ich verdiene mein Brot unter anderem mit der Musiklehre.« Er lächelte. »Klavier, Geige, Gitarre, Flöte. Spielen Sie ein Instrument?«
Lyn schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich. Es gibt höchstens ein paar brachliegende Gitarren-Kenntnisse aus Jugendzeiten.«
»Sie sollten sie pflegen. Musik ist Labsal für die Seele und erhält sie rein.« Sein Blick veränderte sich und glitt über Lyn hinweg. »Wenn sie denn nicht missbraucht wird.«
Deutlich hallten in diesem Moment dumpfe Bässe zu ihnen. Eine Gruppe Jugendlicher zog mit einem Ghettoblaster die Straße hoch.
Lyn reichte ihm zum Abschied die Hand. »Auf Wiedersehen, Herr Beutler. Das war ein interessantes Gespräch.« Sie zögerte kurz. Eine Frage brannte ihr auf der Zunge, und sie war gespannt auf seine Antwort. Bisher hatte er sich zu den meisten Fragen eher schwammig geäußert.
»Wie stehen Sie zu dem Bibel-Satz ›Auge um Auge, Zahn um Zahn‹?«
Er lächelte. »Bevor ich zum Schwert greife, wähle ich als Waffe lieber das Wort.«
* * *
Andreas Stoblings Blick glitt über die Leute, während er kaute. Der Hunger hatte ihn erneut an die Grillbude getrieben. Verdammt, wo steckte Tommy? Er tunkte die Schinkenwurst in die Majo und biss ab. Conny hätte sich bei dieser Kombination geschüttelt.
Er leckte seine Finger ab, als eine Gruppe von fünf, nur mit Bikini-Oberteilen und Jeansshorts bekleideten Frauen sich langsam durch die Menge bewegte. Eine der Frauen – allesamt ethnisch den Slawen zuzuordnen – trug ein Schild vor sich her. »Ein Foto mit uns – topless – zehn Euro.«
Begleitet wurde die Truppe von einem langmähnigen, schwarzhaarigen Typen in schwarzem Ledermantel. Im Anschlag hielt er ein Maschinengewehr. Gebaut aus Wacken-Bierdosen.
»Ey, kann ich mich auch für lau mit euch fotografieren lassen? Bin grad ’n bisschen klamm.« Grinsend grölte Andreas es der Gruppe zu und steckte den restlichen Majo-Bratwurststummel in den Mund.
»Fick dich ins Knie, Arschloch.« Der Langmähnige sprach gelangweiltes, astreines Hochdeutsch und richtete den Lauf seiner MG auf Andreas’ Genitalien.
»Wird schwierig, wenn du ihn mir mit deiner Mörder-Wumme wegballerst«, lachte Andreas.
Die Truppe zog wortlos weiter.
Andreas öffnete seinen Rucksack, holte die letzte Dose Bier heraus und nahm einen tiefen Schluck. Er brauchte Nachschub aus dem Supermarkt. Und wenn er sowieso schon im Dorf war, konnte er Werner einen kurzen Besuch abstatten. Vielleicht hatte Tommy sich ja entgegen der Absprache dort wieder eingemietet.
Er sah auf seine lederne Armbanduhr – ein Weihnachtsgeschenk von Conny. Shit. Jule hatte gesagt, dass sie die Schwertkämpfe in »Wackinger Village« nicht verpassen wollte. Und er hatte Bock, sie wiederzusehen. Warum bis zur Karaoke-Show warten? Das würde allerdings bedeuten, dass er zeitlich den Abstecher zu Werner Schwedtke nicht schaffte. Er setzte die Dose an die Lippen und trank den Rest des ungekühlten Biers in einem Zug aus. Nach einem herzhaften Rülpser schulterte er seinen Rucksack. Er musste Prioritäten setzen. Und das war eindeutig nicht Werner, sondern Jule und ein kaltes Bier.
SIEBEN
Lyn warf einen Blick auf die Uhr des Dienstwagens, während sie langsam durch Wacken fuhr. Es war kurz nach sechzehn Uhr. Werner Schwedtkes Nachbarin Kirsten Rettmann hatte ihr soeben – nach einem Blick auf das Foto von Andreas Stobling – bestätigt, dass er in den vergangenen Jahren der Begleiter von Thomas Lug gewesen war. Das Gartenhausmieter-Trio stand also definitiv fest: Henning Wahlsen, Thomas Lug und Andreas Stobling.
Sollte sie sich jetzt an der Suche nach Andreas Stobling beteiligen? Sie entschied sich dagegen. Die Bereitschaftspolizei war inzwischen – genau wie sie – mit einem Eintrittsbändchen in dem diesjährigen braunen Farbton ausgerüstet und auf dem Gelände ausgeschwärmt. Statt in Uniform in Jeans und T-Shirt. Also konnte sie ruhig noch eine Befragung durchführen. Vielleicht hatte sie Glück und erwischte Svenja Ploetz, die Freundin von Judith Schwedtke, zu Hause.
Sie setzte den Blinker und wendete auf der Hauptstraße. Als ihr Handy klingelte, wühlte sie es mit ihrer rechten Hand aus der Handtasche und nahm das Gespräch an.
»Hallo, Thomas!«, sagte Lyn erfreut. Sie hatte den
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