Tod in Wacken (German Edition)
dreiundzwanzig Jahren »einfach nur ’ne geile Party feiern«.
Lyn gab die Adresse von Renate Karlmann in das Navi ein. Sie war gespannt auf die zu erwartenden Informationen von Thilos alter Lehrerin. Genervt sah sie auf, als eine Gruppe Jugendlicher sich mit einem Ghettoblaster, der auch das ausverkaufte Münchner Olympiastadion unterhalten hätte, direkt neben ihrem Wagen postierte. Kam hier eigentlich auf jeden Einwohner eines dieser Megateile?
Kopfschüttelnd drehte sie das Autoradio auf, um Adeles neuesten Song auf R.SH zu Ende hören zu können. » Das ist Musik«, grummelte sie und folgte den Anweisungen des Navis. Als sie in den Mühlenweg einbog, winkte ihr jemand wie wild vom Bürgersteig zu. Thilo.
Sie hielt an und ließ die rechte Seitenscheibe herunter. Aber Thilo riss die Tür auf und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen.
»Ich habe mich entschlossen, meiner alten Lehrerin doch mal Guten Tag zu sagen. Nimmst du mich mit?«
»Klar.« Lyn fuhr wieder an. »Aber nur, wenn du ihr nicht sagst, dass du Wacken-Fan bist. Dann erzählt sie vielleicht gar nichts.«
»Ich bin doch kein Schwätzer … Da vorn ist es schon. Das Haus mit der Friedhofshecke. Findest du Koniferen nicht auch schrecklich? Ich bin gespannt, ob sie noch einen Hund hat. Damals hatte sie so einen erzhässlichen Pinscher. Sie hat das Viech sogar mal mit in den Unterricht gebracht. Yogi Möller hat unauffällig sein Wurstbrot an ihn verfüttert, und am Ende der Stunde hat Fiffi ihr auf die hellbraunen Wildledermokassins gekotzt. Werd ich nie vergessen. Eine der schönsten Schulstunden.«
Drei Minuten später standen Lyn und Thilo der pensionierten Lehrerin gegenüber. Figürlich erinnerte sie Lyn keinesfalls an einen Mann, aber ihr kurzes, herrisches »Ja?«, als sie die Tür aufriss, hatte etwas Soldatisches. Sie stützte sich auf einer Gehhilfe ab, denn ihr linker Fuß steckte bis zur Wade in einem Gipsverband.
»Guten Tag, Frau Karlmann.« Lyn hielt ihren Ausweis parat. »Harms. Kripo Itzehoe. Dies ist mein Kollege Steenbuck. Wir untersuchen einen Mordfall und würden Ihnen dazu gern einige Fragen stellen. Vielleicht haben Sie ein paar Minuten für uns?«
»Mord?« Ihr Kopf ruckte von Lyn zu Thilo. »Steenbuck? Ich kenn dich doch. Du bist Thilo.«
Lyn verkniff sich ein Grinsen. Einmal Schüler, immer Schüler.
»Ja, guten Tag, Frau Karlmann. Schön, Sie mal wiederzusehen.« Artig gab Thilo ihr die Hand.
Ihr knappes »Na!« ließ Skepsis heraushören.
Lyn musterte das breite Gesicht der Lehrerin. Die Knubbelnase und die herabhängenden Wangen, eingerahmt von einem grauen Pagenschnitt, erinnerten sie an eine Schauspielerin. Aber Lyn kam nicht darauf, an welche.
Als sie im Wohnzimmer Platz genommen hatten – Lyn und Thilo auf den beiden beigefarbenen Polstersesseln, Renate Karlmann neben einem schwarz-weißen Hund auf dem Sofa –, behielt die Lehrerin ihren Exschüler weiterhin im Blick.
»Polizist«, sagte sie. »Merkwürdig … Dumm warst du ja nicht, aber vom Verhalten hätte ich dich eher auf der anderen Seite gesehen.«
»Auf der anderen Seite?« Thilos Entrüstung war so echt wie die Brüste von Daniela Katzenberger. »Da müssen Sie mich verwechseln. Ich hab Ihnen sogar mal die Tasche getragen.«
Frau Karlmann nickte. » Daran erinnere ich mich natürlich. Allein die Tatsache, dass ein ansonsten verhaltensauffälliger Quintaner vor dem Lehrerzimmer auf mich wartet, um meine Tasche zum Biologieraum zu tragen, hätte mich stutzig machen sollen.«
Ihr Blick wechselte zu Lyn, während sie von einem Teller auf dem Tisch einen Keks nahm, ihn in zwei Hälften zerbrach und beide an den Hund verfütterte. »Eine fette Kröte hockte in meiner Tasche, als ich in der Unterrichtsstunde mein Lehrmaterial entnehmen wollte. Leider habe ich die Klasse sehr enttäuscht, weil ich nicht in hysterisches Schreien ausgebrochen bin, sondern das Prachtexemplar einer Bufo calamita genommen und nach draußen gesetzt habe … Da hätte dir etwas Besseres einfallen müssen, Thilo. Eine Biologielehrerin schockiert man nicht mit einer Kröte.«
Lyn musste sich zwingen, den Blick von dem Hund zu lösen, der begonnen hatte, mit erhobenem Bein ausgiebig seinen Genitalbereich zu lecken, und sagte: »Kommen wir zu unserem Anliegen.«
»Ja«, nickte Frau Karlmann. »Was habe ich mit einem Mord zu tun?«
»Es ist nichts Persönliches«, sagte Lyn. »Es geht um das Wacken Open Air. Wir haben gehört, dass Sie nicht zu den Befürwortern des
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