Tod in Wacken (German Edition)
die Bank neben der Tür. »Wollen wir uns nicht dorthin setzen? Bei dem kühlen Sommer bin ich für jeden Sonnenstrahl dankbar. Ich wollte mir gerade ein Glas Himbeersaft holen. Darf ich Ihnen auch eines anbieten? Die Früchte sind aus eigener Ernte.«
»Gern.« Sie setzte sich neben die dösende Katze auf die Bank, während er ins Haus ging.
Lyn hatte erwartet, dass er sich ein Hemd oder Shirt übergezogen hätte, als er mit den beiden Getränken wiederkam, aber sein Oberkörper war nach wie vor nackt, und sie fühlte sich auf eine eigenartige Weise unwohl, als er nach der Katze griff und sich neben sie auf die Bank setzte. Es fehlte Distanz.
Seine blauen Augen musterten sie aufmerksam. »Was kann ich für Sie tun?«
»Wir ermitteln in einem Fall, der möglicherweise mit dem Wacken Open Air in Verbindung steht. In diesem Zusammenhang befragen wir Leute, die dem Festival nicht sonderlich gewogen sind.« Sie sah ihm in die intensiv leuchtenden Augen. »Würden Sie sich selbst in diese Kategorie einordnen, Herr Beutler?«
Das gewinnende Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden. »Kategorie? Sie benutzen dieses Wort in einem falschen Zusammenhang. Haben Sie sich jemals mit den Kategorien befasst? Mit der Kategorienlehre des Thomas von Aquin in der Tradition nach Aristoteles? Und mit der Frage nach dem Göttlichen? Ich habe mich mit dem Für und dem Wider auseinandergesetzt.«
Lyn starrte ihn an. »Äh …«
Sein Lächeln kehrte zurück. »Verzeihen Sie, Frau Harms. Ich überfordere die Menschen des Öfteren. Dabei möchte ich doch nur, dass jeder begreift, dass Gott das einzig Wirkliche ist. Und in dem Wirklichen liegt die Betonung auf Wirken.«
»Ich habe davon gehört, dass Sie den Leuten Ihr Gottverständnis gern nahe bringen. Und darum bin ich hier.« Lyns Stimme hatte ihre Festigkeit wieder. Sie öffnete ihre Tasche und zog die Fotografien der ersten beiden Mordopfer aus ihrer Mappe. »Kennen Sie diese Männer oder haben Sie einen von ihnen schon einmal gesehen?«
Er nahm die Fotos in die Hand und betrachtete sie nacheinander. »Nein.«
»Sagen Ihnen die Namen Thomas Lug oder Henning Wahlsen etwas?«
»Nein.«
»Sind Sie sicher? Es könnte sein, dass die beiden im vergangenen Jahr während des Festivals etwas getan oder von sich gegeben haben, das irgendjemanden sehr viel Hass auf die beiden empfinden ließ.«
»Ich wünsche, Sie meinen nicht etwa mich.« Seine Finger glitten durch das Fell der Katze, sodass sie zu schnurren begann, während er einen fernen Punkt über Lyns Kopf fixierte. »Ich lebe in dem ständigen Bemühen, dem Göttlichen gerecht zu werden.« Er sah Lyn an. »Der Hass ist auf der anderen Seite. Wer dem Bösen huldigt, ist voll des Hasses.«
»Mit dem Bösen meinen Sie den Teufel? Und Teufelsanbeter?«
»Teufel!« Er lachte auf. »Das ist personifiziert. Kindermär. Nein, nein, ich meine das Böse. Das Gottabgewandte.«
Lyn versuchte in seinen Augen zu lesen. »Hier treffen sich junge Leute, um Musik zu hören und gemeinsam zu feiern. Natürlich kann man über den Death Metal geteilter Meinung sein. Aber glauben Sie, dass in all diesen Menschen das Böse wohnt?« Dass sie selbst eine Antipathie gegen die Songs der Death-Metaller hegte, ging ihn schließlich nichts an.
»In uns wohnt, was wir hereinlassen. Und darum geht es. Wir haben die von Gott gegebene Möglichkeit, zu wählen.«
Hatte er Tränen in den Augen? Lyn war sich nicht sicher. Was war von diesem Mann zu halten?
»›In uns wohnt, was wir hereinlassen‹«, wiederholte Lyn, »weise Worte. Welcher Religion fühlen Sie sich zugehörig, Herr Beutler? Sind Sie Christ?«
»Ich fühle mich Gott zugehörig, sonst niemandem oder irgendetwas.«
Lyns Blick fiel auf seine Hand, die nach wie vor die Katze streichelte. Das eng anliegende, unlösbare Eintrittsbändchen des Wacken Open Air stach ins Auge.
»Sie haben vor, das Festival zu besuchen?«, fragte Lyn und deutete auf sein Handgelenk.
»Das entscheide ich noch. Vielleicht ziehe ich mich auch in meine Anglerhütte nach Dithmarschen zurück.«
»Wenn Sie diese Möglichkeit haben, verstehe ich nicht, warum Sie sich dann dieses jährliche Spektakel hier antun.« Lyn lächelte. » Ich wüsste, wo ich wäre.«
Sein Blick umfasste sie fast liebevoll. »Ich hege die Hoffnung, dass das Böse überwunden werden kann. Darum kann ich nicht einfach fliehen. Ich teile mich den Menschen gern mit.« Er stand auf und setzte die Katze auf die Bank zurück. »Und jetzt müssen
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