Tod in Wacken (German Edition)
sie aus und blies den Qualm aus ihren Lungen in die Sommerluft. Eigentlich war sie Gelegenheitsraucherin, aber seit sie hier war, rauchte sie eine nach der anderen. Sie musste sich unbedingt mit einer neuen Schachtel »American Spirits«, die hier per Bauchladen an jeder Ecke verkauft wurden, eindecken.
Sie ging langsam weiter. Würde sie ihn jemals finden?
Andy, wo steckst du nur?
Das gesamte Areal hatte die Größe von zweihundertsiebzig Fußballfeldern. Das hatte sie gegoogelt. Am Abend in dem Zimmer des Hauses, in dem sie für die Festivaltage Unterschlupf gefunden hatte. Bei Freunden eines Kollegen der netten Kommissarin. Das Haus befand sich in dem kleinen Örtchen Gribbohm, das unmittelbar an Wacken angrenzte. Sie hätte sonst wer weiß wie lange fahren müssen, denn in Wacken und den umliegenden Dörfern war seit Monaten alles ausgebucht.
Die Wahrscheinlichkeit, Andy hier zu treffen, war so schrecklich gering. Aber zu Hause in Hamburg hätte sie auch keine ruhige Minute gehabt. Also, warum sollte sie nicht weiter suchen?
Während sie weiterging, suchte ihr Blick die Jägermeister-Hochsitz-Bar, von der Andy ihr im letzten Jahr begeistert berichtet hatte. Die Bar wurde an Stahlseilen langsam von einem Kran nach oben gezogen, und aus fünfzig Metern Höhe hatte man bestimmt einen phantastischen Ausblick über das Gelände. Da der Andrang für diesen Höhentrip so enorm war, musste man sich dafür per SMS bewerben, um einen Platz zu ergattern. Andy hatte im vergangenen Jahr Glück gehabt. Und das konnte sie auch gebrauchen. Die Chance, ihren Bruder von ganz oben zu erblicken, war zwar gleich null, aber beim langsamen Hinaufziehen bestand eine minimale Chance. Nur hatte sie den Jägermeister-Hochsitz bislang noch nicht entdeckt.
Im gleichen Moment stieß ihr Fuß an ein Hindernis. Mit einem Schreckenslaut fiel sie vornüber und landete hinter einem Körper auf der Rasenfläche. Ein stechender Schmerz zog durch ihren linken Handballen.
»Verdammt!« Warum musste ausgerechnet sie über einen der hier zuhauf mitten im Gelände liegenden Volltrunkenen stürzen, die ihren Rausch einfach auf dem Rasen ausschliefen? Und warum musste ihre Hand dabei mit dem einzigen herumliegenden scharfkantigen Stein Bekanntschaft machen?
Die alkoholisierte Stolperfalle gab nur einen genervten Grunzlaut von sich und schlief weiter, während Cornelia aufstand und die Wunde an ihrer Handinnenfläche begutachtete. Ein Pflaster hatte sie nicht dabei, und es würde vermutlich auch nicht viel nützen. Die Haut klaffte auseinander, und Blut quoll in nicht geringer Menge heraus.
Ein sich eng umschlungen haltendes Pärchen blieb neben ihr stehen. Die schwarz umrandeten Augen im blass geschminkten Gesicht des Mädchens ruhten auf Cornelias Wunde. »Dit sollteste ma lieber von de Sanis verarzten lassen.« Ihre mit weinroten Samtstulpen überzogenen Hände griffen nach Cornelias Hand. »Sieht nicht jut aus.«
»Meinst du?« Zweifelnd sah Cornelia das Gothic-Mädchen an.
»Klaro. Dit Sani-Zelt findste links vorm Einjang zum Infield.«
»Vielleicht hast du recht. Danke.«
Ihre Hand pochte, als Cornelia den beschriebenen Weg einschlug. Das große Sanitätszelt war nicht zu verfehlen. Mehrere Rettungswagen parkten daneben. Cornelia schluckte, als ihr Blick auf das direkt davorliegende Seelsorgerzelt fiel. Ein Platz, an dem man sich seinen Kummer von der Seele reden konnte – einen Moment lang schien es ihr verlockend. Aber bei der Suche nach Andy konnte dort auch niemand helfen. Auf der linken Seite fiel ein blauer Container ins Auge. Polizei. Cornelia ging weiter. So viele Freunde und Helfer in dieser eigenen kleinen Welt. Und doch fühlte sie sich allein wie nie zuvor.
Sie trat zur Seite, als ein mit zwei Personen besetztes Quad vor dem Sani-Zelt startete und an ihr vorbeifuhr. Sie blickte ihm hinterher. Ein Arzt auf dem Weg zu einem Patienten? Mit dem Quad konnte man vermutlich jede Ecke auf dem Zelt-Areal am besten erreichen.
Vor dem Sani-Zelt saßen auf den dort aufgestellten Bänken eine Handvoll Leute. Aufgeregt schwatzte einer von ihnen mit einem Sanitäter. Als Cornelia das Zelt betreten wollte, hielt der Sanitäter sie auf. »Wie können wir helfen?«
Cornelia zeigte ihm ihre Hand.
»Oh ja, kommen Sie bitte.« Er führte sie hinein und bat sie, sich auf eine der diversen Liegen zu setzen. »Eine Kollegin kommt sofort zu Ihnen.«
»Vielleicht tut’s einfach ein Pflaster«, sagte Cornelia. »Wenn Sie mir eines
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