Tod in Wacken (German Edition)
Kommissar, der für das Sachgebiet 1 tätig war, seit Monaten nicht gesehen. Nach einer Krebserkrankung hatte er sich nach kurzer Wiederaufnahme des Dienstes doch für eine Auszeit in Form von Rehabilitation und Urlaub entschieden. »Du bist wieder im Dienst? Wie schön. Was kann ich für di–« Sie brach abrupt ab und trat auf die Bremse. Aus einer Gruppe schwarz gekleideter Jugendlicher, die die Straße überqueren wollten, hatte einer die Hand auf die Motorhaube des Dienstwagens gehauen.
»Moment«, sprach sie in den Hörer, fuhr das Stückchen zurück und ließ die Seitenscheibe des Mondeo herunter. »Hast du ein Problem?«, fauchte sie den Glatzkopf mit dem schwarzen »Hammerfall«-Kapuzenshirt an.
Er lehnte sich in das offene Fenster, in einer Hand ein Wacken-Bier. »Ist verboten, beim Fahren zu telefonieren, Mutti. Du könntest unkonzentriert sein und wehrlose Metaller totfahren.«
Seine Kumpel brachen in Lachen aus.
»Was vermutlich nur ein Verlust für die Spirituosen-Industrie wäre«, murmelte Lyn und ließ die Seitenscheibe wieder hochfahren, sodass er zurückweichen musste, und fuhr weiter. »Entschuldige, Thomas«, sagte sie, nachdem sie das Handy wieder aufgenommen hatte, »mir ist gerade ein alkoholisierter Schwachkopf blöde gekommen. Also, was gibt’s, Herr Kollege?«
Thomas Martens teilte ihr mit, dass Wilfried ihn zu ihrer heutigen Begleitung auf dem Festival-Gelände auserkoren hatte.
»Okay«, verabschiedete Lyn sich mit Blick auf die Uhr, »ich habe noch eine Befragung vor mir. Dann muss ich kurz nach Hause zu meinen Mädels. Und ich muss mich umziehen. Mit meiner hellen Leinenhose und den Sandaletten wäre ich doch zu exotisch gekleidet, befürchte ich. Sagen wir, um neunzehn Uhr am Eingang Ende Hauptstraße? … Bis dann. Ich freue mich.«
Lyn hatte Glück. Das Haus im Fliederweg wurde von einem jungen Mädchen geöffnet. Die kleine Rothaarige trug schwarze Jeans und ein hautenges Wacken-Girlie-Shirt, unter dem der reichliche Hüft- und Bauchspeck deutlich zur Geltung kam.
»Hallo, bist du Svenja Ploetz?«, fragte Lyn, zückte ihren Ausweis und stellte sich vor. »Wenn ja, hätte ich ein paar Fragen an dich.«
»Ich bin Svenja«, sagte das Mädchen und starrte Lyn an. »Was ist denn los?«
»Kann ich reinkommen? Es geht um den Selbstmord von Judith Schwedtke. Sie war doch deine Freundin?«
Svenja nickte. Unsicher deutete sie ins Haus. »Wir können ja ins Wohnzimmer gehen. Meine Eltern sind nicht da … Aber was hab ich denn mit … mit Judiths Selbstmord zu tun?« Sie setzte sich auf die vorderste Kante des Ledersessels im Wohnzimmer, ohne Lyn einen Platz anzubieten. Lyn setzte sich auf das Sofa.
»Wir ermitteln in einem Mordfall. Und die Gründe für Judiths Freitod könnten eventuell damit in Zusammenhang stehen.«
»Mordfall?« Svenjas Augen über der sommersprossigen Stupsnase wurden riesig.
Lyn holte ihr Aufnahmegerät hervor. »Ich würde unser Gespräch gern aufzeichnen. Ist das okay für dich?«
Svenja nickte, begann aber vor Aufregung zu husten.
»Svenja, weißt du irgendetwas über die Motive für Judiths Selbstmord? Von ihr selbst oder durch jemand anderen? Hat sie seinerzeit irgendwelche Andeutungen gemacht?«
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Nee, wirklich nicht. Das … das hätte keiner gedacht. Ehrlich. Sie war ja ’ne Zeit lang echt scheiße drauf, aber da … also in der Weihnachtszeit, ging’s ihr eigentlich echt wieder gut.«
»Wann genau war sie denn scheiße drauf? Versuch bitte, das zeitlich möglichst genau einzugrenzen.«
»Hmm«, Svenja blies durch die Nase, »also nach den Sommerferien im letzten Jahr war das, würd ich sagen. Wir haben uns danach nicht mehr ganz so oft gesehen. Judith ist ja weiter zur Schule gegangen, aber ich hab ’ne Lehre als Bürokauffrau angefangen und nicht mehr so viel Zeit gehabt … Sie hatte plötzlich keinen Bock mehr auf Party am Wochenende. Und als ich sie gefragt hab, hat sie nur gesagt, ich soll nicht nerven, sie hat eben keinen Bock. Na, da hab ich sie eben gelassen.«
»Warst du ihre beste Freundin?«, hakte Lyn nach.
»Ja, schon. Ich war, glaub ich, ihre beste Freundin, sonst hatte sie nicht so viel Kontakt zu anderen Mädchen, außer ganz normal in der Schule eben.«
»Aber als beste Freundinnen habt ihr euch doch bestimmt ausgetauscht. Geheimnisse anvertraut und so weiter. Man vertraut seiner besten Freundin doch Sachen an, die man sonst niemandem sagt.«
Svenja zwirbelte eine rote Locke.
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