Tod in Wacken (German Edition)
sich. Stimmt, sie hatte ja keine Hose mehr an. Nun hieß es: Cool bleiben. Schließlich war sie nicht verklemmt.
»Ja, dann … Hallo, Max. Ich bin Lyn.« Dabei ging sie langsam aus der Tür. Rückwärts. Schließlich bedeckte die cremefarbene Seide ihren Po nur notdürftig. »Vielleicht kommst du kurz mit, Charlotte?«, lächelte sie, »es gibt noch ein, zwei Dinge zu klären, bevor ich wieder verschwinde. Ich habe noch einen Einsatz heute Abend … Tschüs, Max.«
Charlotte folgte Lyn auf dem Fuße in das Schlafzimmer und ließ sich mit genervter Miene auf das Bett fallen. »Du kannst echt peinlich sein, Mama.«
»Warum schließt ihr nicht ab?«, fragte Lyn, während sie sich eine Jeans anzog.
»Ich hab noch nicht mit dir gerechnet.«
»Ich bin auch nur kurz hier, um mich umzuziehen. Ich bin in Zeitdruck. Dann hat auch noch irgendein Typ seine Schrottkarre auf meinem Parkplatz abgestellt.«
Charlotte grinste. »Das lass mal nicht Max hören. Die Schrottkarre heißt Artus und gehört ihm.«
»Artus! Kein Wunder, dass Camelot sang- und klanglos in der Versenkung verschwunden ist.« Lyn zog ein schwarzes Basic-Shirt aus der Kommodenschublade. »Wo steckt eigentlich deine Schwester?«
»Carmen hat Muffins gebacken. Krümel ist zu ihr rüber.« Charlotte richtete sich im Bett auf. »Du, Mama, Carmen hatte für mich auch eine Überraschung. Sie hat mir und Max ihre Wacken-Karten vererbt, weil ihre neue Bettmaus sich das Bein gebrochen hat und sie jetzt auch nicht mehr gehen möchte. Max und ich wollen Freitag- und Samstagabend hin. Umsonst kommen wir da nie wieder rein. Ich darf doch, oder? Er fährt mich nachts auch wieder nach Hause. Er trinkt keinen Tropfen Alkohol, versprochen.«
Lyn wurde der Hals trocken. »Ich … du … Nein! Nein, du bleibst hier. Auf keinen Fall gehst du nach Wacken. Punkt.«
»Was?« Charlotte starrte sie an. Sie hatte mit dieser Antwort eindeutig nicht gerechnet. Und Lyn verstand sie, denn unter anderen Umständen hätte sie ihrer Ältesten erlaubt, das Festival zu besuchen. Aber die Umstände waren nun einmal nicht anders. Nur durfte sie ihrer Tochter das nicht sagen. Charlotte würde umgehend ihre Freunde informieren, wenn sie von einer eventuellen Gefahr hörte.
»Du kannst mir doch nicht …« Charlotte sprang vom Bett auf und griff nach Lyns Hand. »Häh? Ist das …? Du hast ein Eintrittsbändchen für Wacken?« Sie zupfte an dem Bändchen an Lyns Handgelenk herum, das sie soeben entdeckt hatte, und starrte Lyn an.
»Hab ich irgendwas verpasst? Wieso gehst du nach Wacken? Hatte Hendrik etwa auch Karten? Und das erzählst du uns nicht? Du gehst dahin und ich darf nicht? Das … das …« Ihre Stimme überschlug sich vor Ungläubigkeit.
Lyn zog ihre Hand zurück. Shit. Jetzt musste sie natürlich eine Erklärung abgeben. »Nun komm erst mal wieder runter, Lotte. Sehe ich aus, als würde ich freiwillig einen Fuß dahin setzen?«
Charlotte sagte kein Wort, sondern verschränkte die Arme vor der Brust und wartete auf weitere Ausführungen.
»Dieses Bändchen habe ich mir aus dienstlichen Gründen geholt. Wir ermitteln dort, und ich möchte nicht, dass du dich dort aufhältst.«
»Ach, aber die anderen siebzigtausend Leute dürfen. Ich –«
»Es tut mir leid, Charlotte«, unterbrach Lyn sie, »aber meine Entscheidung ist nicht diskutabel.«
Lyn drosselte ihren energischen Schritt, als sie auf der Hauptstraße den über dreißig Meter hohen Wackener Raiffeisenturm passierte, der sich in diesem Jahr in neuer Farbe präsentierte. Statt weiß-grün stach er jetzt wackenschwarz in den Himmel. Der obligate skelettierte Bullenschädel starrte aus dunklen Augenhöhlen von allen vier Turmseiten auf das kleine Dorf. Langsam ging sie weiter Richtung Festival-Eingang und hielt nach Thomas Martens Ausschau. Sie schien die einzige Unentspannte in dem Pulk kommender und gehender Menschen zu sein. Lyn atmete kräftig aus. Und wenn schon! Schließlich war sie nicht zu ihrem Vergnügen hier.
Wo steckte Thomas? Sie blieb stehen und sah sich um. Die Masse der Leute war in Grüppchen oder paarweise unterwegs. Ihr Blick traf sich mit dem eines dunkelhaarigen Metallers in schwarzer Jeans und Scorpions-T-Shirt, der ein Stückchen außerhalb des Checkpoints stand. Lyns Blick wäre weitergewandert, hätte er nicht erfreut gewunken. Sie stockte und setzte sich erst in Bewegung, als er auf sie zulief.
Das … das war Thomas. Und auch wieder nicht. Blass, mager, glatzköpfig. So hatte sie ihn
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