Tod in Wacken (German Edition)
soll sie mit all diesen Morden zu tun haben?«
»Vielleicht gar nichts«, sagte Lyn. »Aber wir können nicht ausschließen, dass die Morde Racheakte für etwas sind, das Ihrer Tochter zugestoßen ist, als sie noch lebte. Um genau zu sein: Wir reden von der Zeit in und nach den Sommerferien letzten Jahres.«
»Das ist ja … völliger Schwachsinn. Racheakte! Wer sollte denn … ich meine, wofür …?«
»Zwei der drei Toten waren Mieter des Gartenhäuschens Ihres geschiedenen Mannes. Zu exakt diesem Zeitpunkt.«
»Und?«
»Könnte Ihre Tochter von diesen Männern vergewaltigt worden sein? Hat sie Ihnen gegenüber irgendeine Andeutung einer solchen Tat gemacht?«
»Meine Güte, nein! Sie … Sie glauben, dass diese Männer …?« Voller Abscheu blickte sie Lyn an.
»Wir wissen es nicht.« Lyn musterte Judiths Mutter. Das aufgetragene Rouge betonte die blassen Wangen zu sehr, aber die unergründlichen Augen und die dunklen Locken machten sie zu einer Schönheit. Wie war eine Frau gestrickt, die ihr Kind ohne jeden Kontakt zurückgelassen hatte, um eine neue Beziehung einzugehen? Eine Frage, die Lyn beschäftigte, seit sie von dem Wackener Kaufmann von Judiths Tod erfahren hatte. Für sie war es undenkbar, ohne ihre Kinder zu sein.
»Ist es richtig, dass Sie zu Judith erst in den letzten Monaten vor ihrem Tod wieder Kontakt hatten?«
Dagmar Meifarts Augen füllten sich mit Tränen. »Ich war so glücklich, als sie vor meiner Tür stand. Einfach da. Ohne sich vorher anzukündigen. Nach fast fünf Jahren, in denen sie nichts mit mir zu tun haben wollte.« Die Tränen rollten jetzt aus den Smaragdaugen.
»Natürlich hätte ich damals nicht einfach gehen sollen, ohne es ihr genau zu erklären. Aber ich … ich war so fest davon überzeugt, dass sie zu mir kommen würde. Wenn ich erst Fuß gefasst hätte in Hamburg. Ich wollte doch erst alles für uns vorbereiten. Knuths Wohnung war ja nicht auf Kinder ausgerichtet. Aber … aber Knuth – also mein jetziger Mann – war und ist nun einmal der Mann meines Lebens. Verstehen Sie?«
Sie sah Lyn um Verständnis heischend an. »Werner und ich … das war anders. Eine Jugendliebe. Ich war mit einundzwanzig mit Judith schwanger. Wir haben geheiratet. Aber glücklich … glücklich waren wir, glaube ich, nie. Werner war ja kaum zu Hause. Das Geschäft ging immer vor. Ich … ich will ihn nicht schlechtmachen. Er war ein guter Vater, wenn er da war, aber mir hat dieses Leben nicht gereicht. Und dann kam Knuth …«
»Haben Sie damals versucht, das Sorgerecht für Judith zu bekommen?«
»Natürlich! Aber … das Gericht hat für Werner entschieden.« Bitterkeit sprach aus jedem ihrer Worte. »Judith wollte nicht zu mir. Und das Gericht hat in ihrem Sinne geurteilt.«
»Aber es gibt doch Besuchsregelungen.«
»Wie oft würden Sie ein Kind abholen, das sich schreiend mit Händen und Füßen wehrt, mitgenommen zu werden?« Die grünen Augen blitzten jetzt. »Er hat ihre kleine Seele vergiftet. Konnte nicht ertragen, dass ich ihn verlassen habe. Dass ich glücklich bin. Ich möchte nicht wissen, was er der kleinen Maus über mich erzählt hat.« Sie sah Lyn an. »Ich habe meinen Mann und mein Kind verlassen. Aber Opfer waren wir alle drei. Auch ich musste dafür büßen.«
Nach einem Moment des Schweigens fuhr sie mit einem kleinen Lächeln fort: »Ich habe nie ein einziges schlechtes Wort über Werner verloren, als Judith begann, mich immer öfter zu besuchen. Ich wollte diese zarte Pflanze Zuneigung, die sich wieder entwickelte, nicht zerstören. Ich habe ihr nur gesagt, wie es in mir aussah, als ich ging, und wie sehr ich sie all diese Jahre vermisst hatte. Ich glaube, ihre eigene Verliebtheit hat sie mich besser verstehen lassen. Und sie war vielleicht endlich alt genug, um selbst zu erkennen, dass ihr Vater nicht das verlassene Elend war, als das er sich gern hinstellte. Und dann … als sie sich dann … Ich frage mich seitdem, ob ich schuld bin. Ob ich wieder irgendetwas falsch gemacht habe.«
Lyn hatte ruhig zugehört. »Es tut mir sehr leid …« Sie strich Dagmar Meifart über den Unterarm. »Aber eine Frage gibt es noch zu klären. Wissen Sie von einem Tagebuch Ihrer Tochter?«
»Ein Tagebuch?« Judiths Mutter schüttelte den Kopf.
»Und Ihnen hat sie sich nicht anvertraut?«
Ein bitteres »Nein!« war die Antwort.
Lyn beendete die Vernehmung.
An der Tür drehte Dagmar Meifart sich noch einmal um. »Sie … Sie haben vorhin von einem eventuellen
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