Tod in Wacken (German Edition)
das Gefühl, nicht allein zu sein, ließ sich nicht vertreiben.
»Hallo?«, rief er noch einmal.
Nichts.
Er griff seinen Rucksack und ging quer über den Rasen. Kurz vor dem Haus sprang der Bewegungsmelder an, und Andreas schloss für einen Moment geblendet die Augen.
»Dann hätt ich ja auch hier im Licht schreiben können«, sprach er mit sich selbst und klemmte den zusammengefalteten Zettel zwischen Tür und Rahmen. Herzhaft gähnend ging er den Weg zurück Richtung Bürgersteig. Sein Blick streifte kurz das am Straßenrand parkende Wohnmobil.
ACHT
Während Lyn Timo Grümperts Personalien aufnahm, musterte sie ihn. Er war ein hübscher blonder Bengel. Sportlich. Mit modischem Kurzhaarschnitt. So, wie man sich als Mutter den Freund seiner Tochter wünschte. Lyn verscheuchte das sich blitzschnell aufdrängende Bild von Charlottes Drachentöter.
Allerdings erfüllte Timo Grümpert augenscheinlich eine innere Unruhe. Er ruckte auf seinem Stuhl im elterlichen Esszimmer vor, dann wieder zurück, während seine Finger immer wieder über die Jeans strichen, so als müsse er Schweiß abwischen. Lyn hatte sich mit Bedacht dafür entschieden, ihn nicht in das Polizeigebäude nach Itzehoe zu beordern, sondern ihn in seinem Zuhause zu vernehmen. Sie sah gern, wie und wo die Menschen lebten.
»Ich frage mich, was der Grund für Ihre Nervosität ist, Herr Grümpert«, ging sie auf Angriff. »Vielleicht erzählen Sie es mir?«
»Nervös?« Er versuchte, sich so lässig wie möglich im Stuhl zurückzulehnen. »Wieso? Nee … Aber, ist ja schon komisch, wenn Sie jetzt noch was über Judith wissen wollen. Ich meine, worum geht’s denn eigentlich?«
»Wir suchen nach der Motivation für Judiths Selbstmord.«
»Aber Sie haben doch gesagt, Sie sind von der Mordkommission. Was hat das denn damit … ich meine …«
»Wir untersuchen einen Mordfall, der eventuell in Zusammenhang mit dem Selbstmord von Judith Schwedtke steht.«
Seine Augen weiteten sich. »Aha.«
»Von mehreren Zeugen wissen wir, dass Sie der Freund von Judith waren und viel Zeit mit ihr verbracht haben«, schoss Lyn ins Blaue. »Ist das richtig?«
»Ja, schon.«
»Dann hat sie Ihnen bestimmt Dinge anvertraut, die sie sonst niemandem anvertraute?«
»Ähm … was meinen Sie jetzt … speziell?« Seine Finger spielten mit dem Festival-Eintrittsbändchen am linken Handgelenk.
»Mehrere Zeugen haben einvernehmlich ausgesagt, dass Judith nach den Sommerferien auffällig depressiv war. Vielleicht wissen Sie den Grund dafür?«
»Da waren wir noch nicht zusammen.«
»Aber Sie könnte Ihnen später trotzdem gesagt haben, was sie bedrückte. Denn wir wissen, dass ihre Depression anhielt, bis sie mit Ihnen zusammenkam.«
Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich weiß es nicht.«
»Herr Grümpert, Ihre Beziehung zu Judith Schwedtke, war die auch sexueller Natur? Hatten Sie Geschlechtsverkehr mit Judith?«
Lyn hatte eher erwartet, dass seine Wangen sich nach dieser Frage röteten, doch das Gegenteil war der Fall. Sein Gesicht verlor an Farbe.
»Nein.«
»Aber Sie waren doch in sie verliebt und auch schon mehrere Monate zusammen. Da wäre es doch nicht ungewöhnlich, dass man miteinander schläft.«
»Ich … wir waren noch nicht so lange … richtig zusammen. Wir waren vorher befreundet.«
»Aber Sie hatten vor, mit ihr zu schlafen. Irgendwann.«
Jetzt wurden seine Wangen rot, und der Tonfall seiner Stimme änderte sich. »Was stellen Sie denn für Scheißfragen? Irgendwann! Klar hätten wir vielleicht irgendwann miteinander geschlafen. Ist doch normal, oder?«
»Vielleicht hatte Judith ja einen Grund, warum sie nicht mit Ihnen schlafen wollte?«
»Ich … ich hab nicht gesagt, dass sie nicht wollte.«
»Wollte sie denn?«
Es kam keine Antwort.
Lyn atmete tief aus. Dieser Junge verschwieg ihr etwas. Aber was war es, das er nicht erzählen wollte? Sie entschloss sich, alles auf eine Karte zu setzen.
»Hat Judith Schwedtke jemals erwähnt, dass sie … vergewaltigt wurde?«
Er starrte sie an. Dann sprang er auf und ging zum Fenster. »Wie … wie kommen Sie auf so ’n Scheiß?«
»Hat sie oder hat sie nicht?«
»Nein!« Er rief das Wort laut heraus.
Lyn öffnete ihre Mappe und nahm die Fotografien der drei Getöteten heraus. »Kennen Sie diese Männer, Herr Grümpert?«
Er kam an den Esszimmertisch zurück und betrachtete die Fotos, dann sah er Lyn an. »Die kenn ich nicht. Was … was sind das für Leute?«
»Mordopfer. Und alle drei
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