Tod in Wacken (German Edition)
Svenja und mit ihrer Schildkröte, Urlaubsschnappschüsse mit ihrem Vater am Strand und auf dem Campingplatz. Lyn betrachtete die Fotos lange. Judith hatte nichts von der wilden Schönheit ihrer grünäugigen Mutter geerbt. Trotzdem war sie ein hübsches Mädchen gewesen. Zart, und blond wie der Vater.
Lyn steckte den Rahmen zurück und öffnete eine Kommode mit bunten Türen. Sie war – genau wie die Regale – leer geräumt. Der Inhalt lagerte also in den diversen Kartons. Nur der offene Kleiderschrank war noch zum Teil gefüllt. Direkt davor stand ein halb voller Umzugskarton, in dem sich Shirts und Mädchenunterwäsche stapelten.
Ihre Hände strichen über die wenigen Garderobenteile, die noch an der Stange im Schrank hingen. Ein Bügel mit bunten Tüchern, zwei Sommerkleidchen, ein paar modische Blusen, ganz hinten eine gesteppte Winterjacke und ein schwarzes Kleid mit einem Bolero. Judiths Konfirmationskleid? Lyns Armhärchen stellten sich auf.
Entschieden atmete sie aus. All diese Kartons wollten gesichtet werden.
Eine halbe Stunde später guckte Volker Aschbach zur Tür herein. »Und? Haben Sie das Tagebuch schon entdeckt?« Er sah sich interessiert um.
Lyn hockte auf Knien vor dem Inhalt des vierten Kartons. Sie setzte den Deckel wieder auf den Schuhkarton zurück, den sie gerade geöffnet hatte. Darin waren Muscheln und Steine. Erinnerungsstücke aus Urlauben am Meer. Aus glücklichen Zeiten.
Sie deutete auf den kleinen Schreibtisch, auf dem ein Buch mit Harry-Potter- und eines mit Twilight-Motiv lagen. »Diese beiden Tagebücher habe ich im Kleiderschrank gefunden, aber nicht das aktuelle.« Sie stand auf und rieb über ihre Knie, die vom langen Hocken auf dem Teppichboden leicht schmerzten.
Volker Aschbach stand vor dem Kleiderschrank. »Es ist doch komisch, dass er alles eingepackt hat, nur hier hat er mittendrin aufgehört.«
Lyn trat neben ihn. »Das hat mich auch stutzig gemacht. Und wissen Sie, was ich glaube? Ich glaube, er hat beim Ausräumen Judiths Tagebücher gefunden. Allerdings nicht nur diese beiden«, sie deutete zum Schreibtisch, »sondern auch das aktuelle. Vielleicht hatte sie sie unter dieser Decke versteckt.« Sie wies auf das Fach über der Kleiderstange, in dem eine Patchworkdecke lag. »Oder hier unten.« Lyn ging in die Knie und hob einen Stapel – anscheinend nicht aktueller – Kleidungsstücke an, die auf dem Boden des Schrankes lagen.
Sie sah Volker Aschbach an. »Wenn sie tatsächlich vergewaltigt wurde, hat sie es vielleicht in ihrem Tagebuch niedergeschrieben. Und er hat es gelesen.«
Aschbach nickte. »Was sein Verhalten – so wie es seine Nachbarin und der Kaufmann beschrieben haben – erklären würde.«
»Herr Aschbach! Lyn!« Wilfrieds Stimme erklang von unten. »Kollege Lechtenbrinck hat im Schuppen eine nette Entdeckung gemacht.«
Die beiden gingen die Treppe hinunter. Im unteren Stockwerk herrschte jetzt noch mehr Trubel. Die Spurensicherung war eingetroffen, um Fingerabdruckspuren von Werner Schwedtke zu sichern, die zum Abgleich der diversen Spuren an den Klingelknöpfen der Opfer dienen sollten.
Wilfried, Staatsanwalt Meier und ein Schutzpolizist standen um den kleinen Küchentisch. Mit behandschuhten spitzen Fingern zog Wilfried aus einer zerknüllten Plastiktüte eine Pistole heraus.
»Eine Beretta 92«, sagte der junge uniformierte Beamte aufgeregt.
»Mit den dazugehörigen Patronen«, murmelte Wilfried, den Blick auf den kleinen Pappkarton in der Tüte gerichtet. »Neun Millimeter. Könnte passen.«
Der Staatsanwalt blickte den Schutzbeamten an. »Wo haben Sie die Tüte mit der Waffe gefunden?«
»Sie lag im Schuppen auf einem Regal. Hinter halb leeren Farbdosen.«
Wilfried legte die Waffe zurück in die Tüte und drückte sie einem Beamten der Spurensicherung in die Hand. »Sofort ab damit zur KTU .«
»Mit Dringlichkeitsvermerk!«, mahnte Staatsanwalt Meier. Überflüssigerweise, wie der Blick des Spurensicherungsbeamten verriet.
»Wie weit bist du in Judiths Zimmer, Lyn?«, erkundigte sich Wilfried.
»Fast durch. Ich sichte gleich den letzten Karton, dann den Kleiderschrank. Aber vorher versuche ich noch mal, Joost Beutler zu erreichen. Vielleicht ist er jetzt zu Hause.«
Lyn ging vor die Tür, während sie die Nummer des Wackeners wählte. Sie hatte es bereits mehrfach versucht, allerdings ohne Erfolg. Auch jetzt meldete er sich nicht.
»Haben Sie Ahnung von Schildkröten, Frau Harms?«, rief ihr ein Spurensicherungsbeamter zu. Er
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