Tod in Wacken (German Edition)
da läuft ein Film … immer wieder. Ich … ich kann Ihnen von dem Film erzählen. Von den Darstellern.«
Lyns Rücken spannte sich. Er wollte etwas loswerden. Und anscheinend konnte er das nur, wenn er es aus der Distanz betrachtete. »Ja. Erklär mir, worum es in dem Film geht.«
»Es geht um … In dem Film spielen drei Männer mit. Und ein … eine Frau. Es … es ist fast dunkel. Schummerlicht. Einer hat die Frau am Arm gepackt. Er muss sie ziehen, weil sie … sie ist … sie kann kaum laufen. Sie will nach Hause. Ihr ist übel. Und er … er sagt, er bringt sie nach Hause, aber … aber er bringt sie in das Gartenhaus.«
Timo hatte die Augen jetzt geschlossen. Seine Lider zuckten.
»Und wie geht der Film weiter? Was passiert im Gartenhaus?« Lyn wagte die leise Frage, weil er nicht weitersprach.
»Da sind die anderen beiden. Sie warten.«
Lyn gruselte es bei dem Klang seiner Stimme. Das Zucken seiner Lider verstärkte sich.
»Das Mädchen sagt, dass ihr schlecht ist. Sie … sie hat Bauchkrämpfe.«
Lyn registrierte sofort, dass aus der Frau ein Mädchen geworden war. Judith. Timo war jetzt so intensiv in dem Film, dass er vergaß, auf die Worte zu achten, die er zum Schutz gewählt hatte.
»Der, der sie am Arm gepackt hat, drückt sie auf das Bett. Sie sitzt da und kippt zur Seite. ›Na endlich‹, sagt der Zweite. Und der Dritte … Er trinkt ein Bier. Eine Dose. Und lacht, und sagt: ›Hallo, Mäuschen. Zieh schon mal dein T-Shirt aus‹.«
Timos Stimme veränderte sich, wurde heller und lauter. Seine Finger auf der Decke begannen zu beben. »Der, der sie reingebracht hat, sagt: ›Hört auf! Wir lassen sie einfach. Das war ’ne Scheißidee!‹ Aber der andere lacht wieder und sagt: ›Halt die Fresse! Wenn du nicht willst, geh nach draußen vor die Tür. Kannst ja anklopfen, wenn ihr Papi kommt.‹ Und dann nimmt er ihre Beine und zieht sie auf das Bett. Und ihr Rock schiebt sich dabei hoch. Es ist ein kurzer Rock. Schwarz. Und sie hat schwarze Netzstrümpfe an. Und er sagt zu ihr: ›Los, Mäuschen, sag, dass du Spaß haben willst!‹«
Lyn war in Versuchung, nach seinen immer stärker zitternden Händen zu greifen, aber sie hatte Angst, ihn damit aus seinem Film zu reißen. Aus dem Horrorfilm.
»Aber das Mädchen rührt sich nicht. Sie liegt nur da. Und dann patscht er an ihre Wange und sagt: ›Los, sag: Spaß!‹ Und dann … dann murmelt sie: ›Spa…‹ Sie kann gar nicht mehr richtig sprechen. Und er guckt zu dem anderen und sagt: ›Siehst du! Mäuschen will Spaß. Und den kriegt sie jetzt.‹ Und dann … dann öffnet er seinen Hosenschlitz.«
Wie irre begann Timo, seinen Kopf hin und her zu schlagen.
»Ist gut, Timo, ist gut«, sagte Lyn und griff jetzt doch nach seiner Hand. »Das … das ist ein schrecklicher Film.«
Ohne ihr seine Hand zu entziehen, starrte er heftig atmend wieder die Decke an.
»Aber ich denke«, fuhr Lyn leise fort, »dass der Film noch weiter geht. Ich denke, es gibt noch einen Darsteller. Vielleicht den Freund der Frau? Und der rächt sich für das, was diese drei Männer mit ihr gemacht haben, denn sie hat es ihm erzählt? Und er lässt die Männer büßen für ihre Tat, weil diese Tat für die Frau so schrecklich war, dass sie damit nicht leben konnte? Und vielleicht hat er sich nicht allein gerächt, sondern gemeinsam mit dem Vater der Frau?«
Timos Kopf ruckte herum. Und dann begann er zu lachen. Ein Lachen bar jeder Fröhlichkeit. Und es endete abrupt. Er sah sie aus seinen tiefblauen Augen an.
»Sie haben den Film nicht verstanden.«
* * *
»Zisch ab!«, fauchte Cornelia Stobling einen Jugendlichen an, der ihre Hand mit dem Megaphon gepackt, an seinen Mund gerissen und »Wackeeen!« hineingegrölt hatte. Frustriert stopfte sie den Verstärker schließlich in die Edeka-Tüte und sah noch einmal auf ihr Handy. Andys Nummer tauchte nicht auf. Es hatte zwar mehrfach angeschlagen, aber immer war es die Kommissarin gewesen.
Als das Handy in diesem Moment in ihrer Hand vibrierte, zuckte sie zusammen. Keine Nummer der Itzehoer Polizei. Vielleicht hatte Andy sich ein anderes Handy besorgt?
»Hallo?«, schrie sie in den Hörer, »Andy? Andy, bist du das?«
»Frau Stobling, legen Sie nicht auf, hier ist Wolff von der Kripo Itzehoe. Wir hab–«
»Lassen Sie mich!« Cornelia Stobling drückte ihn weg. Sie hatte ihn kaum verstehen können, aber dass er von der Kripo war, hatte sie mitbekommen. Und auf eine weitere Belehrung konnte sie
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