Tod in Wolfsburg (German Edition)
oder mit Pappe Louis oder wen auch
immer. Seitdem gab Tom sich jedenfalls besondere Mühe. Vielleicht würde es ihm
eines Tages doch noch gelingen, zu den auserwählten Leuten zu gehören – so wie
Rico, der erst Anfang zwanzig war und sich schon einen gut funktionierenden
Vertrieb aufgebaut hatte und oft sein eigenes Ding machen durfte, in allen möglichen
Geschäftszweigen. Der Chef hatte ihn sogar monatelang allein in Süddeutschland
herumdüsen lassen, und nun gab es gute Kontakte in den Osten. Rico war ein
echter Winner-Typ.
Auf Milbert hatte Tom seit einiger Zeit in unregelmäßigen Abständen
immer mal wieder ein Auge zu werfen, und so waren ihm einige Gewohnheiten
vertraut. Mal sollte er ihn am Werk abfangen und mit dem Wagen hinter ihm
herfahren, ein paar Tage später morgens zur Stelle sein, wenn er das Haus
verließ, oder am Wochenende den unauffälligen Stalker machen. Warum und weshalb
wusste Tom nicht, jedenfalls nicht genau. Georg erläuterte seine Motive nicht.
Das brauchte er auch nicht.
Milbert lief am Teich entlang und bog in nördlicher Richtung in den
Wald ein. Die schummrigen Lichtverhältnisse schienen ihn überhaupt nicht zu
stören, wahrscheinlich weil er die Wege wie seine Westentasche kannte. Tom
vermutete, dass er sich nach der Durchquerung des Waldes westlich halten und an
den Feldern entlang nach Brackstedt laufen würde, um dann zurückzukehren – das
wäre seine Acht-Kilometer-Tour. Die große Runde, bei der er sich schon im Wald
östlich hielt, um dann in Richtung Teichbreite und von dort weiter zum Allersee
herunterzulaufen und ihn zu umrunden, bevor er sich wieder auf den Heimweg
machte, war er schon eine ganze Weile nicht mehr gejoggt. Während dieser Tour
war er gut und gerne doppelt so lange unterwegs. Vielleicht fehlte ihm gerade
die Zeit oder die Kondition. Tom war es recht. Frühmorgendliche Ausflüge bei
Regen und Nebel waren nicht unbedingt nach seinem Geschmack.
Doch zu seiner Verblüffung bog Milbert im Wald schon nach wenigen
Minuten in Richtung Osten ab, um sich dann südlich zu halten. Tom hoffte, dass
er nur bis zum Alten Teich lief – eine circa fünf Kilometer lange Waldstrecke,
die über meist schnurgerade und gut ausgebaute Wanderwege führte – und ihnen
beiden an diesem feuchtkühlen Morgen die Allerseerunde ersparte. In tropfnassen
Bäumen hing der Nebel wie Zuckerwatte. Ab und zu rief ein Vogel. Rascheln im
Laub. Das leise Schmatzen der Reifen. Milberts gleichmäßige Schritte.
Nach ungefähr zehn Minuten warf er das erste Mal einen Blick nach
hinten über die Schulter. Tom verlangsamte und ließ sich zurückfallen. An einer
Weggabelung blieb er stehen. Milbert wandte sich wieder nach vorne und lief
etwas zügiger weiter. Zwei Minuten später setzte Tom sich wieder in Bewegung.
Er lächelte. Bald würde Milbert den Spaß an seinem morgendlichen Lauf
verlieren. Das Gefühl, verfolgt zu werden, löste die unterschiedlichsten
Reaktionen aus. Manche wurden erst nervös, später panisch, andere aufgeregt und
aggressiv oder ängstlich, aber in einem Punkt waren alle gleich: Sie handelten
unüberlegt und machten Fehler. Sie wurden zur Beute. Der eine früher, der
andere später.
Tom liebte die Jagd.
7
Johanna rief Polizeiobermeisterin Sofia Beran noch während des
zweiten Frühstückskaffees an. Sie war dabei, die Gesprächsliste durchzugehen,
und je mehr Notizen sie sich zu einzelnen Punkten machte, desto deutlicher
schlichen sich Zweifel an ihrer üblichen Vorgehensweise ein. Auch wenn Johanna
es grundsätzlich vorzog, alleine zu arbeiten, wusste sie selbst, dass ihre
Methode nicht immer sinnvoll war und gerade in diesem Fall überdenkenswert. Vor
ihr lag ein Vernehmungsmarathon, bei dem sie zusätzliche Augen und Ohren ebenso
gut gebrauchen konnte wie eine zweite Meinung und jemanden, der ihr zuarbeitete
und einen souveränen Eindruck machte. Beran schien ihr genau die Richtige für
diese Aufgabe zu sein – hinzu kam, dass sie selbstbewusst war und eine Uniform
trug –, und Johanna fragte sich, wieso sie nicht schon am Tag zuvor darauf
gekommen war.
»Ich möchte, dass Sie mich ins Schulzentrum Kreuzheide begleiten«,
erklärte sie ohne Umschweife. »Können Sie das mit Ihrem Vorgesetzten klären
oder soll ich …«
»Das kriege ich hin«, wandte Beran schnell ein. »Kein Problem.«
»Fünf Mädchen vernehmen, mindestens, dazu den Klassenlehrer von
Karen, und wer weiß, was sich dann daraus an zusätzlichem Klärungs-und
Gesprächsbedarf noch ergibt
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