Tod in Wolfsburg (German Edition)
… Das ist ein bisschen viel für eine einzelne
Ermittlerin, zumal nur jeweils zwei Mädchen in eine Klasse gehen und von Haupt-
über Realschule und Gymnasium alle Schularten vertreten sind. Können Sie mich
in einer halben Stunde abholen – mit Aufnahmegerät und in Uniform?«
»Kein Problem.«
Johanna wollte das Gespräch beenden, als ihr noch ein Punkt einfiel.
»Ich brauche Fotos von den Mädchen, mit denen wir sprechen, um sie zum Beispiel
Waltraud Milbert zu zeigen. Die Frau liegt noch in der Reha, und wir können im
Moment keine Gegenüberstellungen vornehmen.«
Pause.
»Sind Sie noch dran, Beran?«
»Ja. Wir haben keine Fotos von den Mädchen, Frau Krass.«
»Dann müssen wir welche beschaffen, in der Schule zum Beispiel, oder
machen … Aktuelle Aufnahmen sind wohl besser. Egal, das klären wir nachher. Bis
gleich.«
Dieter Hansen unterrichtete Deutsch, Geschichte und Englisch in der
10 B, deren Klassenlehrer er seit zwei Jahren war. Er war klein und
rundlich, ungefähr vierzig und trug einen blonden Backenbart. Hinter einer
runden Brille funkelten wasserblaue Augen. Hansen war ein Allroundtyp, den man
sich auf einem Traktor ebenso gut vorstellen konnte wie hinter einem
Bankschalter und dem man nicht zutraute, seine Mitmenschen mit schlechter Laune
zu belästigen. Wie viel Autorität er ausstrahlte, um Zehntklässler zu bändigen,
vermochte Johanna jedoch auf den ersten Blick nicht einzuschätzen.
Hansen hatte eine Freistunde und führte Johanna und Beran in einen
kleinen Raum neben der Cafeteria, wo sie ungestört reden konnten. Den hatte es
zu Johannas Schulzeiten noch nicht gegeben, oder sie erinnerte sich nicht an
ihn.
»Ich dachte, die Ermittlungen zu dem furchtbaren Zugunglück wären
längst abgeschlossen«, bemerkte Hansen, während er sich hinter einen kleinen
Tisch zwängte und Beran Stühle für Johanna und sich bereitstellte. »Die Polizei
hat damals mit etlichen Schülern aus Kreuzheide gesprochen, die an dem Abend
ebenfalls in der Diskothek waren, und dabei ging es auch um Drogen. Was führt
Sie erneut hierher?«
Johanna setzte sich und bedeutete Beran mit einer beiläufigen
Handbewegung, das Aufnahmegerät einzuschalten.
»Nun, es gibt neue Aspekte, die weitere Fragen aufgeworfen haben.
Dazu muss ich mit einigen Jugendlichen sprechen. Da sie in Kreuzheide zur
Schule gehen, ist es am einfachsten, die Befragungen hier durchzuführen.
Außerdem erhoffe ich mir Hinweise von Ihnen, mit wem zum Beispiel Karen
befreundet oder auch nicht so gut befreundet war.«
Hansen lehnte sich zurück und faltete die Hände über seinem Bauch.
Die allgemein gehaltene Auskunft gefiel ihm nicht hundertprozentig, aber er
schluckte sie.
»Aus meiner Klasse war, glaube ich, nur noch Nelli Beisall mit von
der Partie. Die anderen sind von der Real-und der Hauptschule.«
Johanna schlug ihr Notizheft auf. »Rabea Solga und Lola Kranstedt
besuchen die zehnte Klasse der Realschule und Philippa Hummel ist in der
neunten Klasse der Hauptschule.« Die Kommissarin sah kurz hoch. »Kennen Sie die
Mädchen?«
»Flüchtig und erst im Zusammenhang mit den polizeilichen
Ermittlungen. Ich habe mit der Real-und Hauptschule kaum etwas zu tun.«
»Aus den damaligen Nachforschungen hat sich ergeben, dass die fünf
Mädchen zusammen unterwegs waren, eine Clique bildeten. Sind Ihnen die Mädchen
hier in der Schule vielleicht mal als Gruppe aufgefallen?«
Hansen schüttelte den Kopf. »Nein, aber die Real-und Hauptschüler
haben ihre eigenen Pausentreffpunkte und Aufenthaltsräume. Kann es nicht eher
sein, dass die ganz zufällig gemeinsam dort waren?« Er runzelte die Stirn.
Johanna sah ihn aufmerksam an. »Nach den übereinstimmenden Aussagen
der Mädchen haben die fünf sich zu dem gemeinsamen Discobesuch verabredet. Und
das klang ganz so, als wären sie miteinander befreundet oder würden sich
zumindest ganz gut kennen. Was kommt Ihnen daran eigenartig vor?«
»Hm, ich weiß nicht … Karen war kein Mädchen, das Anschluss an eine
Clique suchte, das ist das eine. So wirkte sie jedenfalls nie auf mich. Und das
andere …« Er zog die Augenbrauen hoch.
»Ja?«
Hansen setzte sich gerade auf. »Das Mädchen hatte ein Niveau –
sowohl intellektuell als auch charakterlich –, das meiner Ansicht nach
zumindest gegen eine innige Freundschaft mit den Vieren spricht.«
»Weil drei von ihnen auf die Real-beziehungsweise Hauptschule
gehen?«
»Weil sie ihr garantiert nicht das Wasser reichen konnten – und das
gilt auch
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