Tod in Wolfsburg (German Edition)
besuchen.«
»Stell dich drauf ein, dass sie …«
»… kaum noch etwas mitbekommt und ansonsten alle Leute um sich herum
tyrannisiert, so, wie sie es mit dir ein Leben lang gemacht hat.«
»Genau das wollte ich sagen.« Gertrud schlürfte ihren Kaffee. »Und
was gibt es sonst Neues bei dir? Hast du mal jemanden kennengelernt?«
»Ich lerne jeden Tag Menschen kennen, Mutter.«
»Du weißt, was ich meine.«
»Sagen wir so: Ich ahne es, und um deine Frage zu beantworten: Einen
Schwiegersohnkandidaten werde ich dir auch diese Woche nicht vorstellen.«
Gertrud zog eine Schulter hoch. »Hätte ich mir auch denken können.«
Warum fragst du dann, schob Johanna in Gedanken hinterher, aber
bevor sie etwas sagen konnte, spürte sie den Vibrationsalarm ihres Handys, das
sie in einer Ledertasche am Hosengürtel trug. »Entschuldige, ich muss
telefonieren.« Sie zog es heraus und stellte die Verbindung her. »Ja, hier
Johanna Krass.«
Ihre Mutter schüttelte den Kopf und stand auf. »Ja, mach nur – ich
muss sowieso mal für kleine Mädchen. Eine Unsitte, diese ständige
Telefoniererei.«
»… Ihre Nummer von Staatsanwalt Reitmeyer«, verstand Johanna nur die
letzten Worte, während Gertrud Krass weiter vor sich hin grummelnd schließlich
die Küche verließ.
»Entschuldigung, die Verbindung war gerade etwas gestört. Wer bitte
spricht dort?«, fragte Johanna.
»Thomas Kasimir. Ich bin der Rechtsmediziner, der die Leiche von
Karen Milbert untersucht hat.«
»Oh, danke, ich hatte gehofft, dass Sie anrufen. Ich habe heute mit
Reitmeyer gesprochen, und er erwähnte, dass Sie im Urlaub seien.«
»Nur noch bis Ende der Woche. Freitag bin ich wieder am Institut.
Wenn Sie wollen, kommen Sie einfach vorbei, und wir reden darüber, was mir so
aufgefallen ist.«
»Ich will nicht unhöflich sein, aber das ist ein bisschen spät.
Hätten Sie nicht vorher mal ein paar Minuten Zeit für ein längeres Telefonat?«
»Ich bespreche derlei ungern am Telefon.«
Das konnte Johanna gut verstehen. »Es ist dringend.«
»Es ist immer dringend«, erwiderte Kasimir. »Hm. Na schön –
Donnerstagabend. Da sehe ich ohnehin meine Post durch.«
»Danke. Das hilft mir sehr.«
Johanna steckte ihr Handy wieder ein, nachdem sie Sofia Beran kurz
über den Termin informiert hatte. Sie trank ihren Kaffee aus. Nebenan rauschte
die Wasserspülung. Einen Moment später trat ihre Mutter wieder zur Tür herein.
»Und? Musste wieder los?«
»Ja. Ich muss wieder los.« Johanna fügte nicht hinzu, dass es ihr
leid tat.
»Kannst dich ja noch mal melden«, meinte Gertrud Krass, als sie sich
an der Wohnungstür voneinander verabschiedeten.
»Ja, mal sehen.«
»Und denk dran, wenn du bei der Oma bist: Sie ist nicht mehr die
Alte – ich meine, so wie früher.«
»Ich werde es berücksichtigen.«
Auch beim Abschied keine Umarmung. Nur eine kurze Berührung. Ein
schneller Blick. Wie immer. Es war noch nie anders gewesen. Warum auch immer.
6
Tom drückte seine Zigarette aus und zog die Kapuze der Regenjacke
hoch, als Milbert zur Tür heraustrat – pünktlich um kurz nach sieben verließ er
das Haus in Joggingklamotten. Auf die Kreuzheider war Verlass. Das schlechte
Wetter schien ihn nicht im Mindesten zu stören. Ein kurzer Blick zum Himmel,
der sich gerade aufzuhellen begann, ein flüchtiges Dehnen und Strecken, und
schon trabte er los.
Tom schob sein Fahrrad ein Stück neben sich her, bevor er aufstieg
und Milbert langsam folgte.
»Er kann allmählich ruhig mitbekommen, dass wir ihm auf den Fersen
sind«, hatte der Alte gesagt. »Aber halt dich zurück, bleib einfach im
Hintergrund. Im Moment jedenfalls noch.«
Tom grinste. Der Alte war sein Chef, Georg. Nachnamen spielten keine
Rolle. Tom arbeitete gern für ihn. Er wusste stets, was er zu tun hatte und
wohin er gehörte, und die Bezahlung war gut. Was konnte man mehr verlangen?
Wenn er seine Sache besonders gut machte, gab es einen Hunderter extra, wenn er
Mist baute, fackelte Georg nicht lange.
Das letzte Mal hatte Tom vor über einem halben Jahr Mist gebaut, und
er hatte Prügel bezogen, deren Nachwirkungen er noch vier Wochen später gespürt
hatte. Es war in Ordnung gewesen. Tom hätte an seiner Stelle nicht anders
gehandelt. Natürlich hatte der Alte nicht selbst Hand an ihn gelegt, sondern
nur stumm zugeguckt, als Louis und Pappe ihn fertiggemacht hatten. Auch den
beiden trug Tom nichts nach. Ebenso gut hätte Georg ihn auffordern können,
gemeinsam mit Louis Pappe zu verdreschen
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