Tod in Wolfsburg (German Edition)
zwischen den
beiden entwickelte?«
»Das habe ich nicht gesagt.« Rabea setzte sich langsam wieder in
Gang. »Es war nicht zu übersehen, dass sie sich nähergekommen waren – ein eng
umschlungenes, herumknutschendes Paar auf der Tanzfläche. Da kann man davon
ausgehen, dass die Feuer gefangen hatten, oder? Schließlich sind die beiden vor
die Tür – na, was hatten die wohl vor?«
»Erläutere es mir.«
»Meine Güte – die wollten es tun, und was ich sagen will, ist
Folgendes: Der Typ hatte es doch gar nicht nötig, sie zu vergewaltigen.«
»Ich verstehe, was du meinst. Aber vielleicht hat Karen es sich doch
anders überlegt, oder es kam noch eine dritte Person ins Spiel.«
Rabea nickte. »Möglich, aber dazu kann ich nichts sagen.«
»Ihr seid häufiger in dieser Diskothek?«
»Hin und wieder.«
»Kennt ihr das Publikum, das dort verkehrt?«
»Manche kennt man vom Sehen, andere nicht – das ist ganz
unterschiedlich.« Rabea lächelte zum ersten Mal. Johanna lächelte zurück. Fühl
dich ruhig sicher, dachte sie.
»Kannst du was über Drogen an der Schule sagen?«
»Nein.«
»Nimmst du manchmal Drogen?«
»Ich trinke hin und wieder mal was – zum Beispiel in der Disco, aber
das war es auch schon.«
»Du trinkst also kontrolliert mal den einen oder anderen Schluck?«
»Könnte man so sagen.«
»Ist ja auch scheußlich, wenn man sich sinnlos zuschüttet,
stimmt’s?«, fragte Johanna in unverändert freundlichem Tonfall.
Rabea umfasste den Griff ihrer Schultasche. »Sie sagen es.«
»Kennst du eigentlich Betty Flint?«
»Die geht in Karens Klasse.«
»Hattest du, hattet ihr mal was mit ihr zu tun?«
»Was meinen Sie damit?«
Johanna hob kurz die Hände. »Hat sie vielleicht auch Anschluss in
eurer Clique gesucht?«
»Nö.«
»Marie Clemens?«
Ein winziges Zögern. »Wer soll das sein?«
»Kennst du sie?«
»Nein.«
Johanna lächelte. »Gehen wir zurück?«
»Wie Sie meinen.«
Am Parkplatz berührte Johanna das Mädchen kurz am Arm. Rabea zuckte
zurück.
»Hast du an der Schule mal was von Schülern mitbekommen, die andere
mobben? Vielleicht sogar eine ganze Gruppe, die Druck ausübt?«
Rabea hob die Schultern. »Ach, wissen Sie, es gibt immer welche, die
sich stärker fühlen als andere oder eine dicke Lippe riskieren.«
»Aha. Hat schon mal dir gegenüber jemand eine dicke Lippe riskiert
oder dich einzuschüchtern versucht?«
»Ich habe solche Probleme nicht«, erwiderte Rabea.
Das glaube ich dir aufs Wort, dachte Johanna. »Eine ganz persönliche
Frage hätte ich da noch, Rabea – hast du einen Freund?«
»Sie meinen – einen festen Typen, mit dem ich gehe?«
»Das meine ich.«
»Habe ich nicht.«
»Das wundert mich.«
Rabea hob statt einer Antwort kurz eine Augenbraue.
»Sagt dir eigentlich die Abkürzung Rc etwas?«
Für den Bruchteil einer Sekunde weiteten sich die dunkelgrünen Augen
des Mädchens, und Johanna fixierte sie.
»Sagt mir nichts«, gab Rabea schließlich zurück.
»Okay, das war es auch schon«, meinte Johanna. »Eventuell komme ich
demnächst noch mal auf dich zurück. Danke fürs Erste.«
Sie wandte sich um und ging zu ihrem Wagen. Minuten später radelte
Rabea an ihr vorbei. Johanna entnahm der Brusttasche ihrer Jacke ein kleines
Aufnahmegerät und stellte es ab. Natürlich durfte sie den Mitschnitt nicht
verwenden. Er diente lediglich als Erinnerungsstütze. Johanna griff nach ihrem
Block und machte sich einige Notizen. Anschließend saß sie geschlagene zehn
Minuten hinterm Steuer und starrte blicklos zur Windschutzscheibe hinaus.
Das Neubaugebiet in Reislingen wirkte wie die meisten Neubaugebiete
allzu perfekt und gradlinig. Zu viel Beton. Zu viel Ordnung. Das Grün stand in
vielen Gärten noch nicht besonders hoch; Ein-, Zwei-und Mehrfamilienhäuser
suchten sich an Gleichförmigkeit zu überbieten; und auch die Reihenhausanlagen
ähnelten sich wie ein Ei dem anderen – bis hin zur Auswahl der Gardinen und
Spielrutschen.
Familie Clemens bewohnte ein Reihenendhaus. Ein handbemalter
Willkommensgruß aus Holz prangte am Gartentor, der Schuhabtreter war bunt, dick
und beeindruckend sauber. Entweder kommen hier nur Leute mit sauberen Schuhen
zu Besuch, oder sie benutzen den Abtreter nicht, dachte Johanna und betätigte
die Klingel. Die Tür wurde keine drei Sekunden später geöffnet. Ein vielleicht
zehnjähriger Junge mit rötlich brauner Ponyfrisur blickte sie kaugummikauend
an.
»Hallo«, grüßte Johanna. »Ist deine Mutter zu
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