Tod ist nur ein Wort
schloss.
Er schien überrascht, dass Chloe so nahe bei ihm stand. Sie war unverletzt, dachte sie benommen. Sie fühlte sich nicht mehr fähig, zu handeln. In der Stille des Wintertages konnte sie nur noch dort stehen und ihn ansehen, während es wieder zu schneien begann.
18. KAPITEL
E in knapper Meter trennte sie, ein Meter voller Blut und Schnee. Ohne darüber nachzudenken, trat sie einen Schritt vor, schlang ihre Arme um ihn, presste ihr Gesicht an seine Schulter und klammerte sich an ihn. Sie zitterte so stark, dass sie meinte, ihre Knochen klappern zu hören, zitterte, um nicht schreien zu müssen.
Seine Arme umfassten sie – kräftige sichere Arme, mit denen er sie an sich drückte. Er war stark und warm, und das leichte Beben seines Körpers war wohl ihrer Einbildungskraft zuzuschreiben.
Sanft strich er mit einer Hand über ihr Haar. “Atme”, flüsterte er ihr zärtlich wie ein Liebhaber ins Ohr. “Atme durch, ganz langsam. Ruhige tiefe Atemzüge.”
Sie hatte nicht einmal bemerkt, dass sie den Atem angehalten hatte. Er umfasste ihr Kinn und massierte mit dem Daumen sanft ihren Hals, bis sie keuchend nach Luft schnappte und sie tief einsog und dann noch einmal und noch einmal.
“Wir müssen hier weg”, flüsterte er, woraufhin sie beinahe hysterisch gelacht hätte. Niemand konnte sie hören – Maureen war tot, die Welt ein Gemisch aus Blut und Schnee, und falls sie schrie, wäre niemand da …
Doch sie würde nicht schreien. Sie saugte seine Wärme, seine Kraft und seinen Atem in sich auf. Sie klammerte sich weiter an ihn, und er machte keinerlei Anstalten, sich von ihr zu lösen, gab ihr die Zeit, die sie brauchte.
Endlich hob sie den Kopf. Er sah unverändert aus, aber das tat er ja immer. Zweimal hatte sie ihn töten sehen, doch sein Gesicht verriet keinerlei Reaktion, war gleichförmig wie eine Maske. Er war ein Monster, kein Mensch.
Aber er war ihr Monster, das sie beschützte, und alles andere kümmerte sie nicht mehr. “Ich bin bereit”, sagte sie.
Er nickte, löste sich von ihr und nahm ihre Hand. Sie fror, weil ihre Kleidung feucht vom Schnee war, und packte seine Hand so fest, dass ihre Finger schmerzten, doch sie würde ihn nicht loslassen. Er führte sie weg von dem Haus, wobei er lange genug anhielt, um die Blutspur auf den letzten Stufen mit Schnee zu bedecken. Der Himmel wurde jetzt dunkler, und sie fragte sich, ob das an dem Sturm oder an der Tageszeit lag. Oder war es ihre eigene Willenskraft, die ein gnädiges Tuch über ein Leben breitete, das nicht mehr zu ertragen war? Wie eine schwarze Decke, die sie einhüllte und alles ausschloss, das Licht, den Schrecken, die Schmerzen …
Er ging sehr sanft mit ihr um, dachte sie abwesend, als er die Tür eines ihr unbekannten funkelnden Wagens öffnete, ihr auf den Beifahrersitz half und den Gurt befestigte. Sein Mantel war noch oben in der Kammer, und plötzlich hatte sie das Gefühl, ihre einzige Sicherheit in dem Haus zurückzulassen.
“Dein Mantel …”, sagte sie und schnappte wieder nach Luft.
“Vergiss den Mantel. Ich brauche ihn nicht.”
“Aber ich.”
Er machte keine Bewegung, stand nur in der geöffneten Wagentür und starrte auf sie herab. Und fragte sich wahrscheinlich, ob sie den Verstand verloren hatte, dachte Chloe. Die Antwort lautete Ja.
Dann nickte er. “Rühr dich nicht vom Fleck”, befahl er, als er die Tür des kleinen Wagens schloss.
Am liebsten hätte sie aufgelacht. Sie konnte sich gar nicht rühren. Ihre Finger gehorchten ihr ebenso wenig wie ihre Beine, die sie nicht trugen. Sie benötigte all ihre Kraft, um so zu atmen, wie er es ihr gesagt hatte, mit langsamen tiefen Atemzügen, und darauf konzentrierte sie sich.
Er schien kaum fort gewesen zu sein, als er wieder die Tür öffnete, den Mantel um sie legte und sie fast zärtlich ansah. “Bist du in Ordnung?”
“Natürlich”, gab sie zurück.
Falsche Antwort, schloss sie aus seiner gerunzelten Stirn. Doch er nickte nur. “Bleib so.”
Was sonst sollte sie seiner Meinung nach wohl tun, dachte sie. Ihren Kopf gegen den Sitz fallen lassen? Weglaufen? Sie war genug weggelaufen.
Sie schloss die Augen, während er durch Paris raste, und hörte seiner ruhigen Stimme nur halb zu. Der andere Teil von ihr ließ sich treiben wie der Schnee. “Der Flughafen ist wieder offen, doch du wirst warten müssen. Ich muss zum Hotel – ich habe die Dinge zu lange schleifen lassen, und sicher bist du nur bei mir.”
Das reichte, damit sie die Augen
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