Tod ist nur ein Wort
beachteten die Szene auf der Bank gar nicht – ihre Aufmerksamkeit galt einzig dem Mann, der ihnen Befehle gab. Christos beobachtete das Geschehen mit gelinder Belustigung, doch er würde sich nicht lange ablenken lassen, und wenn er das Zeichen gab, wären sie alle tot. Chloe war sich darüber völlig im Klaren.
Soweit sie wusste, konnte das Stockholm-Syndrom eine gefährliche Krankheit sein. Sie wandte sich um und sah, dass Monique eine Hand in Bastiens langem seidigem Haar vergraben und die andere auf seinen Hosenschlitz gelegt hatte.
Das brachte das Fass zum Überlaufen. Wenn sie schon sterben würde, dann aufrecht. Sie sprang auf und riss Monique an einem ihrer dürren Arme von Bastien fort. “Nimm deine verdammten Hände von meinem Freund.”
Es war das Lächerlichste, was sie hatte sagen können. Alle im Raum erstarrten und sahen sie an. Monique lächelte. “Ich habe nichts gegen einen Dreier,
chérie
, wenn du so eifersüchtig bist. Du allein bist ihm vielleicht nicht genug, und ich schätze, ich könnte die Lücke füllen.”
Chloe stürzte sich auf sie, doch Bastien fing sie mitten in der Bewegung ab und presste sie an sich. Dann fiel sie hart zu Boden, mit seinem Körper auf ihrem, als die Hölle ausbrach.
Sie wurde fast zerquetscht von seinem Gewicht und konnte nichts sehen, doch der Lärm war furchtbar. Die Schüsse – einige gedämpft, andere ohrenbetäubend, die Schreie und Flüche und der Lärm einer in Panik geratenen Menge.
Und dann der Gestank – es roch nach Kordit, und dazu gesellte sich der schwere, an Kupfer erinnernde Geruch von Blut. Er lag auf ihr, doch er lebte, so viel war gewiss. Er atmete schwer, und sie spürte seinen Herzschlag an ihrem Rücken. Sie bewegte sich nicht, wollte sich nicht bewegen. Vielleicht konnten sie für immer so liegen bleiben, und niemand würde bemerken, dass sie nicht tot waren.
Dann rollte er sich von ihr herunter, auf die Seite, und zog sie mit sich. Der Raum war in Dunkelheit getaucht, nur das aufblitzende Mündungsfeuer gab hier und da ein wenig Licht. Nicht, dass Chloe die sich noch windenden Körper sehen wollte oder die Leichen oder das Blut überall.
Halb zog, halb trug Bastien sie hinter die Bank und zerrte sie zu einem der mit Vorhängen zugezogenen Fenster. Er schubste sie hinter den Stoff, drückte sie an die Wand und legte ihr eine Hand auf den Mund. Sie konnte nicht sprechen, nicht schreien, nicht atmen. In seiner anderen Hand hielt er eine Waffe, das fühlte sie.
“Bist du verletzt?”, flüsterte er.
Es gelang ihr, ganz leicht den Kopf zu schütteln, obwohl er sie so eisern festhielt.
Das Fenster entpuppte sich als Tür, die zu einem kleinen schneebedeckten Balkon führte. Sie wusste nicht, in welchem Stockwerk sie sich befanden, und es war ihr auch egal. Sie waren hier gefangen, und es gab nur zwei Wege nach draußen. Durch den Kugelhagel oder durch die Balkontür.
“Bleib, wo du bist”, sagte er, als er sich von ihr löste und umwandte.
“Nein!”, rief sie und streckte die Arme nach ihm aus, doch er stieß sie einfach zurück, sodass sie erneut gegen die Wand prallte. Als er den Vorhang vorsichtig ein Stück zur Seite zog, kniff sie die Augen zusammen und legte sich die Hände auf die Ohren, um den grässlichen Lärm nicht hören zu müssen.
Und dann war er wieder zurück. “Wir müssen hier sofort raus”, sagte er in angespanntem Ton. Er öffnete das bodentiefe Fenster, und der kalte Luftzug blähte die Vorhänge auf. Er fluchte und stopfte die Waffe in seinen Gürtel, wobei sie den Blutfleck auf seinem Hemd erblickte – den Fleck mit dem falschen Blut. “Los jetzt.”
Sie konnte nicht mehr fragen, wohin eigentlich. Er hob sie einfach hoch und ließ sie über die Brüstung des Balkons fallen, um ihr dann direkt hinterher zu springen.
Sie hatten sich im zweiten Stockwerk befunden, und der Aufprall war dementsprechend hart. Allerdings lag der Schnee hoch genug, sodass sie sich nicht verletzte. Sein Aufprall musste härter gewesen sein, denn er humpelte, als er sich erhob, nach ihrer Hand griff und sie rasch in den Schatten zog, als Menschen oben auf dem Balkon auftauchten und aufgeregt in einer Sprache redeten, die sie gar nicht verstehen wollte.
“Mein Wagen steht da drüben”, sagte er atemlos, während er sie vor sich herschob. “Ich beuge Eventualitäten immer vor. Du kannst mit Schaltung fahren, oder?”
“Ich bin noch nie in Paris gefahren!”, erwiderte sie scharf.
“Dann tust du es jetzt zum ersten
Weitere Kostenlose Bücher