Tod ist nur ein Wort
lächelte – ein kurzes aufrichtiges Lächeln, das ihr das Herz zerriss. “Ich weiß. Tu es für mich.”
Sie war zu erschöpft, um sich mit ihm zu streiten. Sie nickte nur und wartete darauf, dass er seinen Griff, mit dem er den Mantel um sie hielt, löste.
“Ich werde dich jetzt küssen, Chloe”, sagte er mit leiser Stimme. “Einfach nur ein Abschiedskuss. Und dann kannst du mich vergessen. Das Stockholm-Syndrom ist nur eine Illusion. Geh nach Hause und finde jemanden, den du lieben kannst.”
Sie versuchte nicht einmal, etwas einzuwenden. Sie stand einfach nur da, als seine Hände ihr Gesicht umfassten, warme starke Hände, die sie beschützt hatten, die für sie getötet hatten. Seine Lippen waren wie ein Flüstern auf ihrem Mund. Er küsste ihre Augenlider, ihre Nase, ihre Brauen, ihre tränenüberströmten Wangen und dann wieder ihren Mund. In seinem sanften tiefen Kuss lag alles, was sie niemals haben würde. Es war der Kuss eines Mannes, der liebte, und sie schwebte fast, verlor sich in der Verzauberung des Moments.
Dann löste er sich von ihr. “Atme, Chloe”, flüsterte er. Zum letzten Mal. Dann war er fort, und der BMW verschwand in der Nacht, während sie nur den Mantel aufheben konnte, der von ihren Schultern geglitten war.
“Wo um Himmels willen hast du nur diesen interessanten jungen Mann kennengelernt?” Ihre Mutter trat zu ihr und legte ihr den Arm um die Schulter. “Du warst immer so altmodisch, was deine Freunde anging.”
Freund, dachte Chloe benommen. Ihr letztes Wort, bevor die Hölle ausgebrochen war. “Er hat mich kennengelernt”, antwortete sie. Ihre Stimme klang fremd, angespannt.
“Zum Glück”, sagte ihr Vater. “Scheint so, als ob er dich aus einer sehr gefährlichen Situation gerettet hat. Ich wünschte nur, er hätte mich einen Blick auf seine Wunde werfen lassen.”
“Er war nicht verletzt”, sagte Chloe. “Das war nur ein Fake, den wir an dem Abend vorbereitet hatten. Künstliches Blut und ein kleiner Zündungsmechanismus, um eine Schusswunde zu simulieren.”
“Chloe, Liebes, ich korrigiere dich nicht gerne, aber ich habe mehr als zehn Jahre in der Notaufnahme in Baltimore gearbeitet, und ich erkenne eine Schusswunde, wenn ich sie sehe.”
“Es war kein …” Ihr wurde fast übel, als die Wahrheit sie plötzlich überkam. Seine Wunde war rechts. Das Päckchen hatte sie an seiner linken Seite angebracht. “Oh Gott”, rief sie und versuchte, sich von ihren Eltern loszumachen. “Ihr habt recht. Wir müssen ihn finden …”
“Er ist längst weg, Liebling. Ich bin sicher, dass er direkt in ein Krankenhaus fährt …”
“Das wird er nicht. Er wird sterben. Er will sterben.” Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, wusste sie, dass sie recht hatte. Er wollte sterben, hatte den Tod geradezu herausgefordert – bis sie ihm in die Quere gekommen war. Und nun, da er sie in Sicherheit gebracht hatte, stand ihm nichts mehr im Weg. “Wir müssen ihn finden, Daddy!”
“Wir müssen unser Flugzeug erreichen, Chloe. Wir haben es ihm versprochen.”
Es gab nichts, was sie tun konnte. Er war fort, und es gab keine Möglichkeit, ihm zu folgen, keine Möglichkeit, ihn aufzuspüren. Ob er sich helfen lassen würde oder nicht, es ging sie nichts mehr an. Er war aus ihrem Leben verschwunden, für immer.
Atme, hatte er ihr immer gesagt. Sie nahm einen tiefen unsicheren Atemzug und schlang seinen Mantel fester um sich. Sie sagte kein Wort, während ihre Eltern sie durch den Hintereingang des Hotels zum Abflug-Gate und in das Flugzeug geleiteten. Sie saßen in der ersten Klasse, doch sie registrierte diesen Luxus kaum. Sie lehnte sich in ihren Sitz, schloss die Augen und lehnte es ab, den Mantel abzulegen, als die Stewardess sie darauf ansprach. Sie weinte nicht mehr, fühlte sich wie betäubt. Sie hatte Blut an ihrer Hand – sein Blut, wie sie jetzt wusste, kein künstliches. Und sie hatte nicht die Absicht, es abzuwaschen. Es war alles, was ihr von ihm geblieben war.
Stockholm-Syndrom, ermahnte sie sich. Eine Verirrung oder Einbildung oder vielleicht einfach nur ein Moment totaler Verblendung. Egal, es war vorbei. Und es hatte mit einem perfekten Kuss geendet.
Sie befanden sich bereits über dem Atlantik, als sie die Augen öffnete und die sorgenvollen Gesichter ihrer Eltern sah, die sie beobachteten.
“Es geht mir gut”, sagte sie leise – eine komplette Lüge. Doch ihre Eltern nickten, da ihre jüngste Tochter das meistens von sich behauptet hatte.
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