Tod Live
sich wünschte: nicht mit Wehklagen, sondern mit einem Knall.
Beim Zubettgehen gestern abend hatte sie ihn abgewehrt, hatte Kopfschmerzen vorgeschoben. Hinterher hatte sie wachgelegen und auf sein leises Atmen gelauscht, bis die Gerechtigkeit sie erwischte und der Kopfschmerz doch noch kam. Und andere Dinge… Er jedoch hatte tief geschlafen, und ihre Probleme hatten ihn nicht gestört.
Natürlich wollte sie ihm nichts von dem Geld sagen. Das sollte er später herausfinden, wenn er mit seinen verwirrten Reaktionen allein war, wenn er seine schuldbewußte Freude, seine schändlichen, goldenen Träume offen zeigen konnte. Statt dessen nahmen sie sich ihre Ersparnisse und Vincents tausend Pfund zum Maßstab und verbrachten den Abend damit, einen neuen Stapel Reiseprospekte durchzublättern. Es war egal, wohin sie fuhren, sagte Harry - Vincent hatte versprochen, ihnen überall auf der Welt Schutz zu gewähren und seine Fernsehleitungen dorthin zu schalten. Auch wollte er eine geheimnisvolle neue Produktionstechnik benutzen: Katherine brauche sich keine Sorgen zu machen, sie würde kaum merken, daß der Kameramann bei ihr war.
Sie sah zu, wie Harry die Broschüren sorgfältig in drei Stapel teilte – die möglichen, die weniger wahrscheinlichen und die nicht in Frage kommenden Orte. Sie machte sich klar, daß sein erstes, kurzes Gespräch mit Vincent Ferriman ziemlich umfassend gewesen sein mußte. Bemerkenswert umfassend. Honorarvorschlag, Unterzeichnung von Papieren, Geldauszahlung, Schutzversprechen, sogar eine Diskussion über Produktionstechniken… Und als sie dann nur eine Stunde später, knapp eine Stunde später, aus dem Krankenhaus zurückkehrte, hatte er gesagt: »Wozu das Geld?« Und: »Der Gedanke ist ekelhaft.« Und: »Ich habe ihm gesagt, er soll sich verziehen.«
Und dabei hatte er bestimmt Vincents frischen Scheck über tausend Pfund in der Tasche gehabt.
Und doch war das nicht die Erklärung für ihre Entscheidung, ihn zu verlassen. Es war nichts Neues, nichts wirklich Neues. Es änderte ihre Liebe für ihn nicht. Und auch nicht ihre sentimentale Entschlossenheit, er sollte sie schließlich durch einen letzten, großartigen und zeremoniellen Geschlechtsakt im Gedächtnis behalten.
Also hatte sie ihn gestern abend abgewehrt und erregte ihn nun im richtigen, im zeremoniellen Augenblick – streichelte ihn zwischen den Beinen, zupfte an den wenigen, traurigen Haaren auf seiner Brust. Ein Erwachen, an das er sich erinnern sollte, an das er noch denken sollte, wenn sie längst Vergangenheit war… So sollte ihre Beziehung enden, ihre reale, wortlose, Haut-an-Haut-Beziehung: nobel, nicht mit Wehklagen, sondern mit einem Knall.
Er schob sich über sie. Er erwachte immer sehr langsam.
»Du mußt es zurückhalten, Schatz«, flüsterte sie. »Drück nach unten, weißt du noch? Drück mit deinem Zwerchfell nach unten. Halt es zurück!«
Und er erwachte und drückte, bis er nicht mehr drücken konnte.
Es genügte. Es befreite sie von ihren Gedanken.
Hinterher ließ sie ihn schweratmend allein und ging los, um das Frühstück zu machen. Heute war ein Tag des Handelns, nicht des Grübelns. Aus dem Küchenfenster sah sie, daß es regnete, ein schönes, graues, unfrühlingshaftes Nieseln. Auch versagten heute früh – seit Wochen war das nicht mehr vorgekommen – die elektrischen Küchengeräte den Dienst. Wahrscheinlich eine kleine Bombe in einer Umschaltstation oder ein Saboteur der Bürgerrechtler im Personal der Zentralen Versorgung. Sie hatte keine Ahnung, worum es diesmal ging, und es war ihr auch egal. Sie wünschte sich nur, die Behörden würden den Kerlen geben, was sie wollten, und normale Bürger in Ruhe weiterleben – und weitersterben lassen. Also machte sie das Frühstück auf dem Ersatzgaskocher, der die Unterseite ihrer Pfannen verschmutzte. Aber Regen und Unbequemlichkeit störten sie nicht: Heute, Samstag, war ein Tag des Handelns, nicht des Grübelns. Das Grübeln konnte, würde, ja, sollte später kommen.
Sie frühstückten im Bett. Das Leben war ein einziger, langer Urlaub. Sie besprachen ihre Pläne. Sie war froh, daß Harry sie belog – das erleichterte ihr das Lügen. Sie blätterte die Broschüren durch.
»Capri?« fragte sie. »Wenn da noch ein Quadratzentimeter frei ist?«
»Ich hatte mir eher die Bahamas vorgestellt.«
»Die sind doch ein einziger, großer Bootshafen.«
»Da wäre immer noch Pitcairn.«
»Um diese Jahreszeit ist das voller Deutscher.«
»Du bist
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