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Tod Live

Tod Live

Titel: Tod Live Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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vorgebeugt auf seinem Sitz und brachte sie an ihr Ziel. Dabei pfiff er falsch vor sich hin, was sie normalerweise sehr aufgeregt hätte. Doch sie war damit beschäftigt, ihre Hände zu bewegen, sie öffnete und schloß ihre Handtasche, und achtete also kaum auf ihn. Zunächst ließ sie sich zum zentralen Heliport bringen, wo sie ihren neuen Schlafsack in ein Schließfach stopfte, dann fuhr sie auf schnellstem Weg zu Harry nach Hause. Sie schuldete ihm etwas. Und auf dem ganzen Heimweg und im Fahrstuhl zur Wohnung versuchte sie sich vorzustellen, was.

    Ich wurde ins Polizeihauptquartier geschafft, und man versicherte mir, meine Verhaftung sei eine reine Formalität. Man war ganz nett zu mir, auf eine unangenehme Art, doch man hielt sich an die Formalitäten. Der Magistratsrichter, der gegen eine kleine Kaution Christopher Barbers Freilassung verfügen konnte, war erst am nächsten Morgen wieder verfügbar. Da mein Fall jedoch auch delikat war, wollte man nicht den Pflichtmagistrat damit behelligen, der vielleicht weniger – verständnisvoll sein würde. Verdammt weniger korrupt, dachte ich und beseufzte meine Undankbarkeit.
    In einer Zelle eingeschlossen zu sein kann ziemlich unangenehm werden, auch für den Normalbürger, der die Augen schließt, alles an sich ablaufen läßt und vielleicht sogar ein wenig Schlaf mitnimmt. Aber für mich, der ich keine solche Zuflucht hatte, war die Lage unmöglich. Ich nahm meine Entspannungsmittel, meine herrlichen, herrlichen Schlafsurrogate, legte mich auf die Koje und richtete mich für die Nacht ein. Decke und Wände meiner Zelle bestanden aus Stahlplatten – wie die Außenhülle eines altmodischen Schlachtschiffes; also nahm ich mir vor, die Nieten zu zählen. Wenn ich lange genug dabeiblieb, würden sich meine Gedanken schließlich anderen Dingen zuwenden, während meine Augen weiter über die Nietenreihen huschten. Auf diese Weise konnte eine Art Bewußtseinsbetäubung eintreten, die sogar zu Träumen führte. Das erforderte Konzentration und klappte nicht oft; meistens versuchte ich es gar nicht. Aber wenn ich es versuchte, und wenn es klappte, war es angenehmer als alles andere.
    Ich begann die Nacht in ganz guter Verfassung, sogar optimistisch. Ich hatte etwa eine halbe Stunde lang Nieten gezählt, und mein Bewußtsein begann gerade etwas aufzutauen, als das Licht ausgeschaltet wurde. Damit hätte ich natürlich rechnen müssen; dies war immerhin kein politisches Gefängnis, und den hiesigen Gefangenen wurde Schönheits- und Gesundheitsschlaf zugebilligt. Doch die plötzliche, absolute Schwärze überraschte mich. Einen Moment lang war sie unverständlich, eine Erfahrung, an die ich mich nur noch schwach erinnerte, die alles bedeuten konnte: Tod, Vernichtung, das Jüngste Gericht. Ich lag still da und hörte, wie mir das Blut in den Ohren pulsierte. Dann begannen sich die beiden winzigen Schmerzpunkte zu melden, und ich begriff.
    Sie kamen natürlich schnell, als ich gegen die Tür hämmerte. Sie waren sehr nett. Als ich ihnen von der Phobie erzählte, die ich seit meiner Kindheit – seit der Kindheit meines Sohnes – hatte, schalteten sie das Licht wieder ein. Sie waren ja keine Ungeheuer. Und ich war ja auch kein Verbrecher. Ich hatte ihnen ja eigentlich einen Gefallen getan. Um mich zu beruhigen, teilten sie mir eine Neuigkeit mit. Die Frau, die ich getötet zu haben glaubte, war gar nicht tot. Vielleicht konnte sie auch wieder laufen, wenn sie aus ihrem Koma erwachte. Und außerdem habe ein Mr. Ferriman angerufen. Man sollte mir ausrichten, der Vertrag, über den wir uns Gedanken gemacht hatten, sei unter Dach und Fach. Und ich solle mir keine Sorgen über den Unfall machen: Ich sei geschäftlich unterwegs gewesen, also würde die Versicherung der Firma großzügig einspringen. Mein Wagen sei bereits abgeholt worden und in Reparatur…
    Das Licht blieb also an, und meine Nacht begann erneut.

SAMSTAG

    Am nächsten Morgen kümmerte sich Katherine als erstes um Harry, indem sie ihn ›richtig‹ weckte. Sie hatte erkannt, daß sie ihm gerade dies schuldig war. Weil sie ihn verließ – aus guten, komplizierten Gründen, die er nie begreifen würde. Wenn sie fort war, wenn seine Verwunderung und sein konventioneller Schmerz vorbei waren, würde er sich hieran erinnern. Dieses Zeichen, diesen Beweis ihrer geduldigen Liebe würde er in sich tragen, weitaus wertvoller als jene groben dreihunderttausend Pfund.
    Ihre Beziehung würde also enden, würde enden, wie sie es

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