Tod mit Meerblick: Schleswig-Holstein-Krimi
Falsches Thema, schrie alles in ihr. »Ist auch egal. Jetzt bin ich ja hier.« Sie seufzte, als sie seinen traurigen Gesichtsausdruck sah. »Was mach ich denn jetzt mit dir, Tiedje?«
»Weiß auch nicht«, murmelte er.
»Der Tag war ziemlich beschissen, und ich bin todmüde.«
»Du schickst mich weg?« Da stand er nun, ihr Exfreund: fast zwei Meter groß, sportliche Statur, von einem kleinen Bauchansatz abgesehen. Vielleicht hätte er mal wieder zum Frisör gemusst; die dunkelbraunen, fast schwarzen Haare waren im Nacken schon etwas zu lang und kräuselten sich ein wenig. Er trug zu den bequemen, ausgelatschten Schuhen, die er so liebte, eine Jeans und ein dunkelblaues Kapuzenshirt. Seine braunen Rehaugen blickten sie bettelnd an. Bevor sie ihm antworten konnte, setzte der Regen ein. Der Wind frischte noch einmal auf, und von einer Sekunde zur anderen klatschten dicke Tropfen auf den Boden. Innerhalb weniger Sekunden waren sie beide nass.
»Komm erst mal mit hoch.« Wiebke verfluchte sich für das Angebot, kaum, dass ihr die Worte über die Lippen gekommen waren. Eigentlich hatte sie allein sein wollen. Nun sah alles danach aus, dass der Abend in einer unendlichen und wahrscheinlich auch unsinnigen Diskussion endete, zumal Tiedje betrunken war. Wiebke fummelte den Schlüssel ins Schloss der Haustür. Drinnen wischte ihre Hand über den Lichtschalter an der Wand und betätigte ihn, vergeblich.
»Stromausfall«, brummte Tiedje. »Ganz Ostendorf ist dunkel.«
»Scheiße.«
»Aber sie arbeiten wohl schon daran, kann nicht mehr lange dauern, bis die Lichter wieder angehen.«
»Komm schon.« Wiebke empfand Mitleid für ihn und zog ihn ins Haus. Es dauerte eine Weile, bis sie ihn sicher ins obere Stockwerk bugsiert hatte und die Wohnungstüre hinter ihr zufiel. Wiebke schob ihn ins dunkle Wohnzimmer. »Setz dich auf das Sofa, ich besorge uns erst mal Kerzen.« Am liebsten hätte sie sich die nassen Klamotten ausgezogen, doch sie befürchtete, dass er es falsch verstehen könnte, wenn sie in Unterwäsche durch die Wohnung lief, also behielt sie das Shirt und die Sommerhose an. Nur die leichten Schuhe streifte sie sich ab und kickte sie in die Zimmerecke. Barfuß ging sie in die Küche und tastete in einer Schublade nach Kerzen und einem Feuerzeug, als sie etwas Weiches am Fuß spürte. Sie erschrak und unterdrückte im letzten Augenblick einen Schrei.
»Mensch, Garfield, hast du mich erschreckt!«
Der Kater maunzte vorwurfsvoll. Sicherlich hatte er Hunger. Doch Garfield musste sich gedulden, Wiebke wollte erst einmal für Licht sorgen. Sie fand eine Schachtel mit weißen Tafelkerzen und eine Packung Streichhölzer und ging zurück ins Wohnzimmer, wo sie die Kerzen in einen fünfarmigen Kandelaber steckte, den er ihr vor einer Ewigkeit auf einem Antiquitätenmarkt im dänischen Tønder gekauft hatte, weil sie ihn so schön nostalgisch gefunden hatte. Er hatte ihn hässlich gefunden, ihn aber dennoch gekauft.
Überhaupt hatten sie viel in ihrer gemeinsamen Freizeit unternommen. Eine weitere Sache, die ihr augenblicklich sehr fehlte. Vielleicht sollte sie sich die Mühe machen und alte Freundschaften wieder aufleben lassen. Sobald sie Zeit hatte, würde sie die Freundinnen aus der Studienzeit anrufen, beschloss Wiebke. Doch augenblicklich hatte sie keine Zeit. Sie musste sich mit ihrem betrunkenen Exfreund herumärgern, der wahrscheinlich in seinem vom Alkohol umnebelten Gehirn Sehnsucht nach ihr verspürt hatte und nun wie ein geprügelter Hund zu ihr heimkehrte.
Als hätte sie keine anderen Sorgen.
Wiebke fummelte ein Streichholz aus der Schachtel, riss es an und roch den Geruch von Schwefel, während sie die Flamme nacheinander an die Kerzen hielt, bis alle fünf brannten und einen anheimelnden Lichtschein im Zimmer verbreiteten.
»Du hast ihn noch, den Leuchter aus Tønder«, lächelte er. »Es war schön dort, nicht?«
Wiebke sah keinen Sinn darin, mit ihm in Erinnerungen an die gute alte Zeit zu schwelgen. Noch immer fragte sie sich, warum er hier aufgetaucht war.
Tiedje blickte sich neugierig um und nickte dann anerkennend. »Schön hast du es hier.«
»Tiedje – du kennst meine Bude!« Vorwurf lag in ihrer Stimme. »Du selber hast mir beim Umzug geholfen, weil es dir nicht schnell genug gehen konnte, mich loszuwerden, schon vergessen?«
Er schüttelte den Kopf und wich ihrem Blick aus. »Nein, habe ich nicht vergessen, Wiebke.« Seine Stimme klang belegt, und Wiebke glaubte, dass seine Augen feucht
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