Tod mit Meerblick: Schleswig-Holstein-Krimi
Gabel und schnappte sich die Jacke, die über dem knarrenden Bürostuhl hing. Dann stürmte er hinaus in den Regen und sprintete zum Streifenwagen. Kam Nordstrand denn überhaupt nicht mehr zur Ruhe?
Dass etwas nicht stimmte, bemerkte Wiebke, als sie in die Einfahrt zum Haus einbog.
Der Himmel war dunkler als sonst, und ein starker Ostwind trieb Regenwolken ins Landesinnere. An der Küste regnete es wahrscheinlich schon. Die kleinen Birken in der Einfahrt neigten sich im Wind, als wollten sie Wiebke begrüßen.
Es dauerte einen Augenblick, bis Wiebke bemerkte, was anders war: Die Beleuchtung, die an einen Bewegungsmelder gekoppelt war und die Zufahrt zum Haus an der Hauptstraße in ein gleißendes Licht tauchen sollte, war ausgefallen. So blieben ihr nur die Lichtlanzen der Autoscheinwerfer. Die Uphusens waren nicht zu Hause, ihr Wagen parkte nicht unter dem Carport. Natürlich, dachte Wiebke. Es war Dienstag, da trafen sich ihre Vermieter in Oster-Ohrstedt mit Freunden zum Indoor-Boßeln. Bescheuert, dachte Wiebke, den Sport in eine Halle zu verlegen. Nun, sollten sie. Dennoch fühlte sie sich an diesem späten Abend besonders einsam, als sie den Wagen auf den Platz stellte und den Motor abschaltete. Das Blut rauschte in ihren Ohren, und die Strapazen des Tages schienen ihren Körper zu lähmen, als sie den Sicherheitsgurt löste und die Fahrertür aufstieß.
Ein frischer Wind wehte ins Wageninnere und kühlte ihre erhitzten Wangen. Das Laub der kleinen Bäume, die die Einfahrt säumten, raschelte unheimlich. Auch der alte Kirschbaum im Garten, den man von hier aus sehen konnte, knarzte unter der Last des Windes. Während sie ein Gähnen unterdrückte, spürte Wiebke, wie ihr Herz plötzlich bis zum Hals klopfte. Irgendetwas hatte sie in Alarmbereitschaft versetzt, und sie fragte sich unwillkürlich, ob das an ihrem anerzogenen Polizeiinstinkt liegen mochte. Ihr Körper straffte sich, und sie sehnte plötzlich ihre Dienstwaffe herbei, die natürlich im Spind in der Husumer Inspektion eingeschlossen war. Wiebke registrierte beunruhigt, dass ihre Hand zitterte, als sie den Autoschlüssel ins Türschloss fummelte, um den Passat abzuschließen.
Wovor hatte sie Angst?
Sie marschierte mutig auf die Haustür zu, die in völliger Dunkelheit im Schatten des Carports ihrer Vermieter lag. Normalerweise ließen die Uphusens das Licht brennen, wenn sie unterwegs waren. Dann warf wenigstens die Lampe im Hausflur ihren Schein durch die Butzenscheiben ins Freie. Diesmal war es jedoch ungewöhnlich dunkel. Ein Geräusch hinter ihr erschreckte sie, und Wiebke ärgerte sich einen Augenblick lang, dass sie keine Taschenlampe im Auto hatte, die sie holen könnte. Ihr Körper spannte sich an, und sie verengte die Augen zu schmalen Schlitzen, um mit ihren Blicken die Dunkelheit durchdringen zu können.
Fast zu spät bemerkte Wiebke den Schemen, der sich ins Dunkel der Tür geduckt hatte. Eine schwarze Masse, die nun in Bewegung geriet und geradewegs auf Wiebke zustürmte. Unwillkürlich nahm Wiebke eine Abwehrstellung ein. Als sie sah, dass sich eine massige Gestalt vor ihr aufbaute, deren Gesicht im Schatten lag, wich sie einen Schritt zurück. Dann erst erkannte sie, wen sie vor sich hatte. Sie atmete hörbar aus und ließ die erhobenen Hände sinken.
»Mann – was soll der Quatsch?« Langsam normalisierte sich ihre Herzfrequenz.
»Moin, Wiebke.«
»Du Blödmann, was soll diese Aktion hier?«, fauchte sie und stemmte die Hände in die Hüften. Mit diesem Besuch hatte sie am wenigsten gerechnet. Wiebke ärgerte sich, dass er es überhaupt wagte, hier aufzutauchen. Nach allem, was er sich in der letzten Zeit geleistet hatte …
Tiedje blickte sie mit treuem Hundeblick an, der sie ansatzweise versöhnlich stimmte. »Ich … habe versucht, dich zu erreichen. Leider vergeblich. Deshalb bin ich selber hergekommen, um …« Er brach ab und kicherte, während er sich aus dem Schatten schälte. Wiebke blieb nicht verborgen, dass seine Zunge schwer war. Er hatte getrunken, eine Unart, die sie von ihm eigentlich nicht kannte.
Sie fragte sich, was er von ihr wollte, und war versucht, ihn zum Teufel zu jagen. Sie hatte ganz andere Probleme, da konnte und wollte sie sich nicht auch noch mit einem betrunkenen Exfreund herumärgern. Immerhin war er es, der sie mit einer anderen betrogen hatte. War etwas schiefgelaufen? Erwartete er jetzt ernsthaft ihr Mitgefühl?
»Ich war unterwegs, weil …«, stammelte Wiebke und winkte dann ab.
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