Tod mit Meerblick: Schleswig-Holstein-Krimi
Nase wehen zu lassen. Kurze Zeit später war sie wieder bei Petersen, der mit dem Einsatzleiter der Feuerwehr zusammenstand. Christ war verschwunden, wie Wiebke mit einem Anflug von Bedauern feststellte. Sie hatte ihn sympathisch gefunden.
Es war nicht sein Ding, solche Nachrichten zu überbringen. Carstensen scheute sich immer davor, doch manchmal gab es keinen anderen Weg, als den Betroffenen in die Augen zu schauen. Immerhin war niemand gestorben, aber den Harmsens war eine Existenz zunichte gemacht worden, und er kannte das Ehepaar gut genug, um zu wissen, dass sie nicht gerade zu den reichsten Inselbewohnern gehörten.
Arne Carstensen lenkte sich ab, indem er an seinen wohlverdienten Ruhestand dachte. Vielleicht würde er sich den Traum erfüllen und ein kleines Haus auf einer der umliegenden Halligen kaufen, um dort seinen Lebensabend zu genießen. Er liebte das Meer und würde niemals von hier wegziehen. Hier war er geboren, aufgewachsen und hier würde er mit größter Wahrscheinlichkeit auch sterben. Und er wusste, dass auch seine Frau heimatverbunden war. Sie liebte Nordstrand wie er, das verband die beiden miteinander. Das und viel mehr nach zig Ehejahren.
Carstensen drosselte das Tempo, als er die Zufahrt von Harmsens Hof erreicht hatte. Die Scheibenwischer kämpften mit den Wassermassen, doch in den letzten Minuten hatte der Regen ein wenig nachgelassen. Vorbei an den Koppeln lenkte er den alten Streifenwagen vor das Wohnhaus. Natürlich brannte in keinem der Fenster noch Licht – etwas anderes hatte er auch gar nicht erwartet. Ubbo lag wahrscheinlich wieder betrunken auf der Couch, während seine hübsche Frau sich ins warme Bettchen verkrochen hatte. Die Spatzen auf Nordstrand pfiffen es von den Reetdächern, dass die Ehe der Harmsens im Eimer war, seitdem Ubbo seine Arbeit verloren hatte und trank.
Das Bewirten der Kneipe und die Instandhaltung der Ferienwohnung blieb an Bente hängen, doch Carstensen hatte schon des Öfteren festgestellt, dass auf ganz Nordstrand niemand die Eier in der Hose hatte, um Harmsen den Kopf zu waschen – ihn selber eingeschlossen. Dafür schämte er sich nun ein wenig, als er ausstieg und sich die Dienstmütze mit dem schleswig-holsteinischen Wappen tiefer ins Gesicht zog. Entschlossen stapfte Carstensen auf den Eingang zu und legte einen Finger auf den vermessingten Klingelknopf. Drinnen schlug erst die Glocke, dann ein Hund an. Der Köter kläffte, als wäre er geprügelt worden, doch Schritte näherten sich nicht. Carstensen hatte keine Lust, bei diesem Mistwetter länger als nötig darauf zu warten, ins Haus gelassen zu werden, und klingelte noch einmal. Wieder schlug der Hund an, wieder rührte sich keiner von den Harmsens. Carstensen klopfte gegen die Milchglasscheibe in der Tür und rief Harmsens Namen, bevor er Sturm klingelte.
Er war sicher, dass die Hausbesitzer da waren. Wo sollten sie auch sonst sein? Ubbos Wagen, ein uralter Toyota, parkte unter dem Carport, der rostige Traktor stand nebenan.
»Das gibt es doch nicht.« Carstensen schüttelte den kantigen Schädel und trat einen Schritt zurück, um am Haus hochblicken zu können. Nichts, kein Geräusch, kein Licht. Das Haus machte wirklich einen verlassenen Eindruck. Der Inselpolizist drehte eine Runde um das Gebäude und versuchte, durch die Fenster im Erdgeschoss einen Blick auf das Innere zu erhaschen. Vergeblich, denn fast überall waren die Gardinen vorgezogen. Es war, als wären die Harmsens einfach verreist. Unverrichteter Dinge begab sich Carstensen zurück zum Wagen. Dann würden die Harmsens eben erst morgen erfahren, dass es das Bistro Möwennest nicht mehr gab.
Sechzehn
Als Carstensens Polizeiwagen das Grundstück in nördlicher Richtung verlassen hatte, atmete sie tief durch. Unwillkürlich war Bente im Fahrersitz nach unten gesunken, damit er sie nicht sah, falls die Scheinwerfer seines Autos ihr Fahrzeuginneres erfassten. Schnell entfernte sich der alte Streifenwagen, der irgendwann in der Stadt ausgemustert worden war, um hier auf Nordstrand sein Gnadenbrot zu verdienen. Sie hatte ihr Versteck gut gewählt, hatte ihren kleinen Lieferwagen zwischen einem Baum und einer Hecke geparkt, so dass er von der Straße aus nicht gesehen werden konnte.
Die roten Rücklichter des Streifenwagens verschwanden in der Nacht, um irgendwann von der Dunkelheit völlig verschluckt zu werden. Ihr Puls beruhigte sich. Zögernd richtete sich Bente im Fahrersitz auf und startete den
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