Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
Ahnung, wer seinen alten Freund damals umgebracht hatte. Leider hatte er zu diesem Zeitpunkt im Gefängnis gesessen. Dass sein Kumpel nicht aus Versehen in den Abgrund gestolpert war, daran bestand für Marco kein Zweifel. Es gab einige, die als Täter in Frage kamen. Und darüber hinaus vielleicht weitere, von denen er nichts wusste. Allora , über Nikis Tod würde der Baron mit der Mutter Steirowitz kaum reden, damit hatte der Mann nichts zu tun. Dann hatte er also herausgefunden, dass ursprünglich Niki hinter den Erpressungen gesteckt hatte? Dass sie das Ding gemeinsam geschaukelt hatten? Marco musste sich beherrschen, um nicht laut zu schreien. Dieser Baron trieb ihn noch in den Wahnsinn. Der Mann musste weg, so schnell wie möglich. Am besten noch in dieser Nacht.
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Nach seinem Besuch bei Theresa hatte Emilio zunächst die Absicht, auf direktem Weg zu Phina zu fahren. Dann beschloss er, noch eine Nacht darüber zu schlafen. Während er bei Steixner ziemlich emotionslos war, was die juristischen Konsequenzen seiner lang zurückliegenden Straftat betraf, quälte ihn bei Phina das Gewissen. War es wirklich zu vertreten, dass er jemanden davonkommen ließ, der höchstwahrscheinlich gleich zwei Menschenleben auf dem Gewissen hatte? Nur weil diese Person schöne Augen hatte und in ihm zärtliche Gefühle weckte? Emilio hatte niemanden, mit dem er darüber sprechen konnte. Er musste ganz allein die richtige Entscheidung treffen. Weil ihm dafür wesentliche Informationen fehlten, musste er Phina befragen. Er musste sie knallhart mit seinen Ermittlungsergebnissen konfrontieren. Und dann musste Phina glaubwürdig schildern, was wirklich passiert war. Ob sie Niki vorsätzlich umgebracht hatte, oder ob er bei einem Streit in die Tiefe gestürzt war? Im Ergebnis kam es aufs Gleiche hinaus, aber in der moralischen Bewertung lagen aus seiner Sicht Welten dazwischen. Genauso bei ihrem Vater: Hatte sie den Tod mit Absicht und kühlem Kalkül herbeigeführt? Oder hatte sie nur von der Gefahr gewusst, die von der Mauer ausging, ohne ihren Vater zu warnen? Emilio bekam Magenschmerzen, wenn er an das morgige Gespräch mit Phina dachte. Außerdem hatte er von dem vielen Tee eine volle Blase.
Wie fast immer fuhr Emilio nicht auf der Schnellstraße. Er steuerte seinen Landy durch Obstplantagen, wobei er nicht genau wusste, wo und wie es weiterging, aber im Tal zwischen Meran und Bozen konnte man nicht viel falsch machen. Irgendwann würde ein Hinweisschild kommen, das ihn nach Terlan zu Steixners Haus führte. Aber vorher musste er dringend pinkeln. Er schaute in den vibrierenden Rückspiegel. Gerade hatte er noch ein dunkles Auto gesehen, jetzt war es weg, offenbar war es abgebogen. Emilio fuhr rechts ran und parkte zwischen einigen Apfelbäumen. Er stieg aus, seinen Gehstock ließ er im Auto, der war beim Pinkeln hinderlich. Er entfernte sich einige Schritte von der Straße. Er hörte ein Auto. Dann sorgte er mit zunehmender Erleichterung für die künstliche Bewässerung eines Baumes. Er zog den Reißverschluss zu und atmete tief durch. Schön war es hier, und so friedlich. Kurz entschlossen ging er ein Stück durch die Apfelplantage. Er versuchte, an nichts zu denken. Was extrem schwierig war. Irgendwo raschelte und knackte es. Er beschloss, den Spaziergang nicht fortzusetzen und zum Auto zurückzukehren.
Die nächsten Sekunden erlebte er wie im Zeitraffer. Plötzlich ahnte er, dass sich jemand hinter ihm befand. Weil er das grundsätzlich nicht mochte und erst recht nicht in seiner aktuellen Situation, machte er einen schnellen Ausfallschritt nach vorne, gleichzeitig wollte er sich umdrehen, um zu sehen, wer oder was ihn verfolgte. Aber er hatte nicht mit seinem überforderten Knie gerechnet, das unter ihm nachgab, als ob es aus Gummi wäre. Im Stürzen erkannte er aus den Augenwinkeln, wie irgendetwas Bedrohliches auf ihn zukam, mit einem peitschenden Geräusch auf seinen Kopf zielend. Dann wurde alles schwarz.
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Obwohl Marco nicht damit gerechnet hatte, dass sich der Mann plötzlich nach vorne bewegte und in einer seltsamen Drehbewegung in die Knie ging, obwohl er mit dem Totschläger schon ausgeholt hatte und die Richtung nicht mehr korrigieren konnte, traf er den Baron mit einer solchen Wucht, dass dieser wie ein nasser Sack zu Boden ging und sich nicht mehr rührte. Vorsichtshalber trat er ihm gegen den Kopf. Keine Reaktion. Der Mann war platt. Marco gab seinem
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