Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
kommen, schaltete das Handy auf stumm und steckte es wieder ein. Wo waren sie stehengeblieben? Ach so, Phina und der Traktorunfall.
***
Nach seinem ausgedehnten Besuch bei Manincor wurde Emilio von einer bleiernen Müdigkeit übermannt. Steixner würde warten müssen. Er fuhr zu Phinas Haus, schaffte mit Mühe die Treppe zu seinem Zimmer. Der Einfachheit halber ließ er sich kopfüber aufs Bett fallen, so angezogen, wie er war. Sekunden später war er eingeschlafen.
***
Es war am frühen Abend, als Emilio durch heftiges Klopfen aus seinem Schlaf gerissen wurde. Er wühlte sich aus dem Kopfkissen, stellte überrascht fest, dass er noch seine Schuhe anhatte, und öffnete die Tür.
«Haben Sie geschlafen?», fragte Phina, auf seine zerzausten Haare blickend, dann auf seine Schuhe.
«Wie kommen Sie denn darauf?», entgegnete Emilio entrüstet. «Nein, ich wollte gerade aufbrechen.»
«In diesem Fall sollten Sie zumindest Ihr Hemd in die Hose stecken.»
Emilio blickte an sich herunter, dann in den Spiegel im Flur, um festzustellen, dass sein Aussehen beträchtliche Defizite aufwies.
«Vielen Dank für den Hinweis», sagte er, «darf ich fragen, was Sie zu mir führt?»
Phina lächelte. «Reden Sie immer so geschraubt, wenn Sie geweckt werden?»
«Ich sagte doch schon …»
«Ist schon gut. Ich wollte nur schauen, ob es Ihnen gutgeht. Es war so still in Ihrem Zimmer.»
«Sehr aufmerksam.»
«Immerhin scheinen Sie nicht zu schnarchen.»
«Das ist tatsächlich eine meiner Tugenden», sagte Emilio, «man hat mir dies wiederholt von dritter Seite bestätigt.»
«Von dritter Seite?»
Emilio räusperte sich. «Sozusagen, gewissermaßen.»
«Sie wollen wirklich weg?»
«Ja, nach Bozen, ich möchte einen Krankenbesuch absolvieren.»
«Nach Bozen?» Phina sah auf die Uhr. «Würden Sie mich mitnehmen?», fragte sie spontan. «Ich hätte was zu erledigen. Und hinterher könnten wir zusammen abendessen.»
Emilio zog eine Augenbraue nach oben. «Mit dem größten Vergnügen.»
«Aber nur unter einer Voraussetzung.»
«Ja, bitte.»
«Dass Sie aufhören, so g’schwolln zu reden.»
«Das ist mein natürlicher Duktus», erwiderte er, «damit bin ich groß geworden.» Nun musste er selber lächeln. «Aber ich werde mich bessern.»
«In zehn Minuten?»
«Passt, geht scho!», antwortete Emilio, um einen bodenständigen Dialekt bemüht.
«Jetzt gefallen Sie mir besser.»
***
In Bozen angelangt, ließ er Phina am Bahnhof aussteigen, dann fuhr er weiter Richtung Moritzing zum Zentralkrankenhaus in der Lorenz-Böhler-Straße. Es war gut ausgeschildert, deshalb verirrte er sich nur ein einziges Mal. Ernst Steixner hatte so spät nicht mehr mit seinem Besuch gerechnet. Er sah ihn überrascht an, war aber offenbar mit seinem Kommen einverstanden und bot ihm den Besucherstuhl an.
«Sie wollen mir was erzählen?», sagte Emilio.
«Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich das noch will.»
Emilio zuckte mit den Schultern. «Dann lassen Sie es sein. Ich bin Ihnen nicht böse. Wir können auch über Andreas Hofer reden und vom Berg Isel.»
«Andreas Hofer? Der arme Kerl wurde in Mantua erschossen.»
«Egal, dann halt über das Kloster Neustift, den berühmten Freskenzyklus in der Viktorskapelle, die Stiftskirche …»
Steixner winkte ab. «Dann schon lieber über den Sylvaner der Chorherren.»
Emilio nickte. «Gefällt mir auch besser. Den Praepositus habe ich in guter Erinnerung.»
Steixner schwieg eine Weile. Dann fragte er: «Sind Sie eigentlich zum Schweigen verpflichtet? Ich meine, als Privatdetektiv erfahren Sie ja vermutlich sehr vertrauliche Dinge.»
«Ob ich zum Schweigen verpflichtet bin, weiß ich nicht», antwortete Emilio, «jedenfalls nicht wie ein Pfarrer, der das Beichtgeheimnis respektieren muss. Aber die Verschwiegenheit ist in meinem Beruf eine wichtige Geschäftsgrundlage. Außerdem bin ich extrem vergesslich.»
Steixner kratzte sich mit der gesunden Hand am Kopfverband. «Rein hypothetisch: Wie wäre es, wenn Sie Kenntnis von einer Straftat erlangen?»
«Hypothetisch? Das hängt davon ab.»
«Wovon?»
«Von den Details. Aber ich würde nicht zur Polizei gehen, wenn Sie das meinen. Mit einer Ausnahme: wenn ich nur auf diese Weise ein zukünftiges Gewaltverbrechen verhindern kann.»
Steixner überlegte. «Kann ich das schriftlich haben?»
Emilio lächelte. «Wozu? Das war doch nur eine hypothetische Frage. Außerdem wäre so ein Papier völlig wertlos. Sie müssten mir schon vertrauen,
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