Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
allem die Architektur des Glasbaus interessierte ihn, vielleicht auch die aktuelle Ausstellung, aber das konnte man vorher nie wissen. Er erinnerte sich, dass bei der Eröffnung des «Museion» ein Frosch für einen veritablen Skandal gesorgt hatte. Der Künstler hatte die Kröte wie Christus an ein Kreuz genagelt, mit Bierkrug und heraushängender Zunge. Die gottesfürchtigen Südtiroler waren nicht amüsiert gewesen, außerdem stand ein Besuch des Papstes bevor. Emilio hatte einen schrägen Humor, ihm gefielen solche Episoden. Leider hatte man das Corpus Delicti längst entfernt.
Nun, Steixner und der Frosch, der eine hatte mit dem anderen nichts zu tun, sah man einmal davon ab, dass der gute Mann fast auch ans Kreuz genagelt worden wäre. Und die heraushängende Zunge … Emilio stellte fest, dass er seinen eigenen Gedanken nicht mehr folgen konnte. Das kam häufiger vor und störte ihn nur wenig.
***
Eine gute Stunde später betrat er nach kurzem Anklopfen das Krankenzimmer von Ernst Steixner. Dieser hatte zwar einen Kopfverband und einen geschienten Arm, ansonsten wirkte er auf den ersten Blick wesentlich lebendiger als besagter Frosch. Emilio stellte sich kurz vor und fragte, ob sein Besuch ungelegen käme. Steixner versicherte sich zunächst, dass Emilio nicht von der Presse war, auch nicht von der Polizei oder von einer Versicherung, dann bot er ihm einen Platz auf dem Besucherstuhl an. Emilio erzählte von Theresa und von seinem Auftrag, auch dass er bereits mit Professor Puttmenger gesprochen habe.
Steixner sah ihn interessiert an. «Habe ich richtig verstanden? Sie sind Privatdetektiv?»
«Nicht immer», antwortete Emilio, «lieber bin ich gar nichts. Aber ich bin korrupt, man kann mich kaufen.»
«Und jetzt sollen Sie herausfinden, ob Niki eines natürlichen Todes gestorben ist? Deshalb sind Sie in Südtirol?»
«Korrekt.»
«Es gibt keinen anderen Grund?»
Emilio zog die Augenbrauen nach oben. «Einen anderen Grund? Welcher könnte das sein?»
«Wüsste ich auch nicht, war nur eine Frage.»
«Und? Was meinen Sie, wie ist Niki ums Leben gekommen? War das ein Unfall, oder hat jemand versucht, ihn umzubringen?»
«Keine Ahnung.»
«Hatte Niki Feinde?»
Steixner wartete mit der Antwort. «Nun, sagen wir mal so, es könnte sein, dass er sich welche gemacht hat. Aber das ist reine Spekulation, mehr kann ich dazu nicht sagen.»
«Können Sie nicht, oder wollen Sie nicht?»
«Suchen Sie sich’s aus.»
«Es gibt noch eine andere Möglichkeit», sagte Emilio nach einer Weile.
«Welche?»
«Es könnte auch Selbstmord gewesen sein.» Dass Steixner bei dem Wort «Selbstmord» zusammenzuckte, entging Emilio nicht, außerdem hatte er es fast erwartet. Wie auch die Tatsache, dass der Mann keine Probleme mit den Ohren hatte, trotz des Kopfverbandes.
Steixner schluckte. «Glaube ich nicht», sagte er.
Emilio lehnte sich entspannt zurück. «Ich habe übrigens keine Berührungsängste bei diesem Thema», sagte er mit ruhiger Stimme. «Mein Vater hat sich erhängt. Ich selbst habe zweimal versucht, mich umzubringen. Beide Male habe ich im letzten Augenblick gekniffen.»
Steixner sah ihn wortlos an. Diesmal dauerte das Schweigen länger. Emilio machte das nichts aus, er hielt auch das Nichtreden für eine gelungene Form der Kommunikation.
«Bereuen Sie es?», fragte Steixner schließlich.
«Dass ich es nicht durchgezogen habe?» Emilio sah an die Decke des Krankenzimmers. «Es gibt Momente, aber nur selten, meistens bin ich froh, dass mich der Mut verlassen hat.»
«Es sind natürlich Gründe denkbar …» Steixner führte den Satz nicht zu Ende.
«Ja, zweifellos. Das muss jeder Mensch für sich selbst entscheiden. Ich denke, man hat das Recht dazu.»
«Die Kirche sieht das anders.»
Emilio zuckte mit den Schultern. «Das war mir egal.»
«Mir auch», flüsterte Steixner.
«Wir reden nicht mehr über Niki, richtig?»
«Nein, tun wir nicht …»
Es klopfte. Eine Krankenschwester wollte ins Zimmer.
«Bitte lassen Sie uns einige Minuten alleine», sagte Steixner. Dann sah er Emilio an. «Seltsam, dass ich mit Ihnen darüber rede, ich kenne Sie doch gar nicht.»
«Vielleicht ein Vorteil.»
«Offiziell war es ein Unfall. Ich weiß nicht, ob die Polizei wirklich daran glaubt, ist aber egal, so steht’s im Protokoll.»
«Dann war es auch ein Unfall. Punktum.»
«Ja, das war es.» Steixner zeigte ein leises Lächeln. «Ich kann nicht verstehen, wie ich so unvorsichtig sein konnte.»
Emilio
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