Tod oder Reben: Ein Wein-Krimi aus Südtirol (German Edition)
zeigen. Marco hoffte, dass dem Professor das gelingen würde. Und vor allem, dass ihn die werte Familie nicht davon abhielt, den Forderungen zu entsprechen und den vorgegebenen Zeitplan für die Übergabe einzuhalten. Aber der Mann hatte studiert, und er machte seinen Patientinnen vor, dass sie nach den Schönheitsoperationen besser aussahen als vorher. Wer das schaffte, dem sollte es auch gelingen, seiner Frau und den Kindern ein glaubwürdiges Märchen aufzutischen. Allerdings musste die Oberschichten-Tussi zuvor darauf verzichten, den Umschlag zu öffnen.
Marco war erleichtert, als er ein Motorengeräusch hörte. Er musste sich nicht umdrehen, um den Ferrari von Puttmenger zu identifizieren. Zwölfzylinder, 480 PS, obenliegende Nockenwelle, 48 Ventile …
Die Familie war bereits im Haus verschwunden, die Frau hatte den Umschlag mitgenommen, auch das Katzenfutter. Das Eingangstor stand noch offen. Der Professor hielt vor dem Haus, ließ zur Begrüßung den brachialen Motor aufheulen. Marco erschauderte. Das war fast so gut wie ein Orgasmus.
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Emilio setzte seine Besichtigung der Weingüter fort. In Tramin besuchte er den futuristischen Neubau der dortigen Genossenschaftskellerei. Als Architekt vermutete er einen Außerirdischen, der beim Entwurf der Pläne zu viel Pinot grigio getrunken hatte. Dass die grünen Verstrebungen eine Weinrebe symbolisieren sollten, wäre ihm nicht in den Sinn gekommen, eher schon eine fleischfressende Pflanze. Aber er lernte gerne dazu. Immerhin hatte man von der schwebenden Önothek einen phantastischen Blick auf die umliegenden Weinberge. Beim Verkosten ließ er vom Weißweincuvée Stoan über den Ruländer Unterebner bis zum Gewürztraminer Spätlese Terminum nichts aus. Mit dem Außerirdischen hatte er sich längst versöhnt.
Im Anschluss fuhr er am Kalterer See vorbei zum Weingut Manincor. Phina hatte ihm nicht nur von den biodynamischen Weinen des Grafen Goëss-Enzenberg vorgeschwärmt, zum Beispiel vom Sauvignon Lieben Aich und vom Blauburgunder Mason, sondern auch von der tollen Architektur. Bemerkenswerterweise war von dieser zunächst nichts zu sehen. Nur ein schöner alter Ansitz und ein reduzierter Glasbau für den Verkauf. Die eigentliche Kellerei war unterirdisch in den Weinberg hineingebaut, das hatte ihm Phina erzählt. Undercover sozusagen. Das Konzept gefiel ihm, vor allem blieb dadurch die Natur intakt, und es musste kein Meter der wertvollen Lagen geopfert werden. Wie beim Wein schlummerten die Werte verborgen im Inneren. Bei manchen Menschen war es nicht anders, oft waren jene am interessantesten. Emilio hatte sich vorausschauenderweise einen Termin geben lassen. Und so wurde ihm das besondere Vergnügen zuteil, von der Gräfin Sophie persönlich durch die Anlage geführt zu werden. Mehrere Geschosse verbargen sich im Weinberg, die Produktion so angeordnet, dass sie der natürlichen Schwerkraft folgen konnte, mit schrägen Wänden aus einem speziellen Beton, in dem sich Mikroorganismen ansiedeln konnten, die für einen Weinkeller wichtig waren. Eiserne Türen und Tore in rostiger Optik. Minimalistisch und modern, Funktion und Design. Ein natürliches Raumklima durch die umgebende Erde und mittels eines ausgetüftelten Belüftungssystems. Holzfässer, Gärbehälter, Edelstahltanks, Abfüllanlagen … Spätestens jetzt hatte Emilio wieder mal vergessen, was ihn eigentlich nach Südtirol geführt hatte. Schließlich saß er mit der Gräfin in einem Verkostungsraum an einem langen Tisch, links die Kollektion der Weine von Manincor, an der Stirnseite eine riesige Glasfront mit weitem Blick in die Natur, im Weinglas als Referenz an seine Gastgeberin ein Chardonnay Sophie. Sie plauderten angeregt über den Südtiroler Weinbau. Dann brachte Emilio behutsam Phina und ihr Weingut ins Gespräch. Ihn interessierte, was man sich so von ihr erzählte. Gerade war er beim tödlichen Unfall ihres Vaters angelangt …
Unvernünftigerweise hatte er sein Handy dabei. Statt den Klingelton zu ignorieren, nahm er das Gespräch entgegen. Der Anrufer meldete sich mit Steixner. Goldmuskateller, Lagrein, Steixner? Emilio brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass es sich dabei um keine Rebsorte handelte. Er entschuldigte sich bei der Gräfin und führte das Telefonat. Es dauerte nicht lange. Steixner bat um einen erneuten Besuch im Krankenhaus. Er müsse ihm etwas erzählen. Außerdem könne er womöglich seine Hilfe gebrauchen. Emilio versprach, zu
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