Tod sei Dank: Roman (German Edition)
zurückfahren, das gottlob weit genug weg war, um jeglichen weiteren Kontakt (zum Beispiel in Form von tatsächlicher Hilfe) unmöglich zu machen. Wills Vater hatte als Major in der Armee gedient; seine Mutter passte sich ihrem Ehemann an und wusste es zu schätzen, wenn auf Partys guter Portwein ausgeschenkt wurde. Sie hatten Will im Alter von neun Jahren in ein Internat gesteckt, wo er gelernt hatte, seine Einsamkeit hinter Büchern und CDs zu verstecken. Nach dem Schulabschluss hatten sie ihn nach St. Andrews auf die Uni geschickt, wo er sich – zu ihrem großen Missfallen – ausgiebig mit Film beschäftigt und Umgang mit anderen Filmfans gepflegt hatte. Im Grunde kannte Will seine Eltern überhaupt nicht. Bislang hatte ihn das nicht sonderlich bekümmert, denn das wenige, das er von ihnen kennengelernt hatte, gefiel ihm nicht. Wills Vater hatte sich nach dem Tod seiner superreichen Eltern zur Ruhe gesetzt. Die hatten ihm so viel Geld vererbt, dass er damit dreiundzwanzig Wohnungen in Spanien kaufen konnte. Er hatte sich entschlossen, eine Ferienvermietung aufzuziehen, und Will gefragt, ob der die Mietgeschäfte für ihn abwickeln wolle. (»Es mag ja ganz nett sein, die Zeit mit irgendeinem albernen Medienkurs zu verplempern, aber das ist doch nicht das richtige Leben. Du bist jetzt Vater! Du musst deine Familie ernähren.«) Zu Wills Aufgaben zählte es, Vermietungsanzeigen zu schalten, die Einnahmen zu verwalten und mit den Leuten über den Festigkeitsgrad von Matratzen, die Nähe zu Strand und Pool und die Wahrscheinlichkeit schlechten Wetters zu reden. Jahrelang hatte sich Will mit einem lauten Seufzer an seinem Computer eingeloggt. Dies war der vielleicht einsamste und langweiligste Job der Welt. Manchmal betete er darum, dass ihm plötzlich eine Idee für einen Film käme, so wie ihm das an St. Andrews gelegentlich passiert war. Aber das geschah nie.
»Wir hatten dieses Jahr einen Mietrückgang von dreißig Prozent«, sagte Wills Vater. Er trug eines seiner Golf-Outfits: sorgfältig gebügelte graue Hose, schwarz-rot-grau gemusterter Pullover von Argyle mit V-Ausschnitt. Allem Anschein nach hatte er seinen Besuch so gelegt, dass er anschließend noch eine Runde Golf am Loch Lomond spielen konnte. Als ob Will sich ausgerechnet jetzt für Vermietungen interessierte. Als ob es ihn irgendwie kümmerte, dass die Briten dieses Jahr ihren Urlaub lieber zu Hause verbrachten.
»Tatsache ist, dass wir es uns nicht mehr leisten können, die Wohnungen zu halten. Ist zwar ein ganz schlechter Zeitpunkt zum Verkaufen, weil der Markt am Boden liegt – Überangebot und so weiter –, aber ich fürchte, dass uns keine andere Wahl bleibt.«
Während Will ihm eine Tasse Kaffee kochte, fragte er sich, ob er sie seinem Vater an den Kopf werfen sollte. Sie hatten seit dem Telefongespräch nichts mehr voneinander gehört, und jetzt wollte er mit ihm über die Finanzmarktkrise sprechen!
Das Telefongespräch war das erste gewesen, das Will nach Kays Diagnose geführt hatte. Er hatte nicht lange um den heißen Brei herumgeredet, sondern seine Mutter direkt gefragt: »Wäre einer von euch beiden bereit, sich testen zu lassen?«
Nach einer Pause, die lange genug gedauert hatte, um seine Frage zu beantworten, hatte Wills Mutter gesagt, dass sie die Sache überdenken müssten.
Zwei Tage später hatte ihm sein Vater eine E-Mail geschickt: »William, wir denken noch darüber nach. Natürlich könnte es wegen unseres Alters Probleme geben. Hast du die neuen Fotos vom Pool auf Holidaylettings.com gestellt?«
»Bitte«, sagte Will, der sich voller Wut an diese E-Mail erinnerte, und stellte den Becher mit Nescafé auf den Küchentresen. In Gedanken warf er ihn seinem Vater an den Kopf. Er hatte diese Option zwar noch nicht in seinem Notizblock vermerkt, aber während er einen Schluck von seinem Kaffee nahm, beschloss er, sie als Option Nummer zwei zu betrachten.
Sie tranken beide, so schnell sie konnten, während Will Fragen beantwortete, die nichts damit zu tun hatten, dass er nun ein arbeitsloser, alleinerziehender Vater zweier todkranker Kinder war.
Nachdem sein Vater gegangen war, steckte Will die Hausschlüssel ein und machte sich zu seiner eigenen Überraschung auf den Weg zu Linda.
»Du weinst ja«, sagte Will, als sie endlich die Tür öffnete.
»Die Tränen bringen es an den Tag«, sagte sie und machte hinter ihm zu.
Bei einer Flasche Highland Spring schütteten sie einander das Herz aus. Sie hatten beide gute Gründe
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