Tod sei Dank: Roman (German Edition)
dazu. Bei Linda ging es um ein Handy, das am vergangenen Abend um 21:55 Uhr geklingelt hatte. Anfangs hatte sie angenommen, es sei das Radio oder die Alarmanlage eines Autos, und hatte das Klingeln ignoriert. Aber als es um 21:57 Uhr schon wieder geklingelt hatte, war sie dem flirrenden Ton in die erste Etage gefolgt: erst in das Schlafzimmer, dann in den maßgefertigten begehbaren Kleiderschrank, für den sie einem gut aussehenden Schreiner ein Vermögen gezahlt hatte, und schließlich in eine Hosentasche. Ihr Mann, dieses Tölpelchen, hatte sein Handy in der Jeans vergessen, als er zu seiner nächsten Geschäftsreise aufgebrochen war.
Das Handy hörte in dem Moment zu klingeln auf, als sie es gefunden hatte. Sie gehörte nicht zu der Sorte von Frauen, die in den Angelegenheiten ihrer Männer herumschnüffeln – zum einen, weil sie nicht mehr sonderlich an ihm interessiert war, zum anderen, weil er kahlköpfig und übergewichtig geworden war und sie deshalb annahm, dass auch keine andere Frau sich für ihn interessierte.
»Wann kommst du?«, erkundigte sich eine SMS, die von derselben Nummer abgeschickt worden war, die gerade angerufen hatte.
»Ich warte schon seit einer Stunde«, lautete die nächste Nachricht.
»Wo bist du?«
»Ich trage den Slip, den du mir geschenkt hast …«
Will vermutete, dass es nicht besonders originell sei, einer weinenden Frau die Tränen von der Wange zu wischen und sie gleich danach zu küssen. Das war in etwa so, wie wenn man in einem Klub mit einer sturzbetrunkenen Frau herumknutschte. Kein guter Anfang. Ein Missgeschick. Aber so landeten sie im Bett – mit einer weggeküssten Träne. Nachher folgte die Anfrage:
»Ist es dir recht, wenn ich dich schlage?«
Will dachte einen Moment lang nach, ehe er antwortete: »Eigentlich nicht.«
»Du verdienst es aber nicht besser. Du fickst eine verheiratete Frau!«
Sie lagen immer noch im Bett. Jetzt wandte er seine Aufmerksamkeit ihrem Gesicht zu. Das also war die wahre Linda: nackt und Furcht einflößend. Ihm war die bekleidete Variante lieber. »Tatsächlich?«
»Allerdings. Du bist ein ganz Schlimmer gewesen. Wenn mein Mann das herausfindet, wird er dir einen noch viel härteren Schlag verpassen. Es kann sogar sein, dass er dich umbringt.«
»Kann ich nicht einfach ein schlechtes Gewissen haben? Und dann zur Beichte gehen?«
»Das hier ist deine Beichte. Was hast du getan, mein Sohn?«
»Ich habe eine verheiratete Frau gefickt, aber ihr Mann betrügt sie …«
»Was hast du gesagt?«
»Ihr Mann betrügt sie.«
»Nein, der erste Teil. Sag es noch einmal.«
»Ich habe eine verheiratete Frau gefickt. Bitte schlag nicht zu heftig zu.«
Linda ignorierte seine Bitte. Sie nahm einen Kochlöffel vom Nachttisch und schlug Will mit voller Wucht auf die Eier. Er schrie laut auf. Warum war ihm dieser Kochlöffel nicht schon früher aufgefallen?
»Ich geh dann mal nach Hause«, sagte er und wischte sich die Tränen aus den Augen. Mit der einen Hand hielt er seine schmerzenden Hoden umklammert, mit der anderen kämpfte er sich in seine Kleider.
»Ah, das war fantastisch«, sagte sie, als Will es schließlich bis zu seinen Schuhen geschafft hatte. »Genau das habe ich gebraucht. Ruf mich später an, okay?«
»Na klar. Sobald ich aus Manchester zurück bin.«
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Kapitel elf
»Eigentlich wollte mich deine Tochter besuchen«, sagte Heath auf seiner Seite der sichelförmigen Bank.
Er hatte zugenommen, seit Will ihn das letzte Mal gesehen hatte. Seine Wangen hingen durch und sein ehemals kantiger Kiefer verschwand unter gedunsenem Fett. Er verströmte eine Duftmischung aus abgestandenem Schweiß, Socken und Wichse. Doch wie fett und stinkig er auch sein mochte – ganz zu schweigen davon, dass er hinter Gittern saß –, brachte er es doch immer noch fertig, Will in Todesangst zu versetzen. Will hielt eine Hand mit der anderen fest, um wenigstens versuchsweise sein Zittern zu verbergen. Sie hatten niemals miteinander gesprochen, ohne dass Cynthia dabei gewesen wäre, und Will wurde klar, dass eine unzuverlässige Stütze besser als gar keine Stütze ist. Da saßen sie nun also einander gegenüber, ihre beiden Männer, und beäugten sich: der eine furchterfüllt und insgeheim um Gnade winselnd, der andere brutal und voller Verachtung.
»Es geht ihr nicht gut«, sagte Will. Stotterte er etwa? Hoffentlich nicht. War es überhaupt von Bedeutung, ob Heath wusste, wie verängstigt er war? War es von Bedeutung, dass Will neben
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