Tod sei Dank: Roman (German Edition)
wurde gleich zweifach zerstört. Zuerst war da Will, der sagte: »Gut, Georgie, pass auf, dass sie hierbleibt. Lass sie nicht aus den Augen. Ich gehe den Arzt holen.«
Und dann war da der Arzt selbst, der die beiden Mädchen behandelte, seit die Krankheit bei ihnen festgestellt worden war. Will wusste, wo sein Sprechzimmer lag. Er hatte schon oft dort gesessen. Beim letzten Mal hatte er darum gebeten, noch nicht getestet zu werden – nicht, ehe er einen anderen Spender gefunden hatte.
»William!«, sagte Mr Jamieson, als Will zur Tür hereinkam. »Ich bin froh, dass Sie gekommen sind. Setzen Sie sich doch. Ich wollte mit Ihnen über Ihre Eltern sprechen.« Mr Jamieson drehte seine Van-Morrison-CD leiser, und Brown Eyed Girl wurde auf ein leises Klimpern im Hintergrund reduziert.
»Meine Eltern?«
»Sie waren letzte Woche hier.«
»Wirklich? Davon wusste ich nichts. Das ist nicht der Grund für mein Kommen … Ich habe erstaunliche Neuigkeiten …«
Mr Jamieson war von Wills aufgeregtem Drängen verblüfft, aber er war der Bedeutendere der beiden, und deshalb sollte seine Neuigkeit zuerst an die Reihe kommen. »Setzen Sie sich, immer mit der Ruhe. Entspannen Sie sich!«
Will setzte sich nicht.
»Ihre Eltern haben sich testen lassen, Will. Sie wollten keine falschen Hoffnungen bei Ihnen wecken, deshalb haben Sie vermutlich noch nichts davon gehört.«
»Wirklich?« Will traute seinen Ohren kaum. Sie hatten es also doch getan.
»Leider entsprechen beide nicht dem Gewebetyp der Mädchen. Es gibt auch noch andere Aspekte: Vor allem Ihre Mutter ist vermutlich nicht kräftig genug, um eine so schwere Operation auszuhalten und sich vollständig davon zu erholen. Das sind leider keine guten Nachrichten. Ihre Eltern kommen als Spender nicht infrage.«
Will sank der Mut. Damit hatte sich Option zwei in seinem Notizblock erledigt.
Aber er verzagte nur für einen Moment. Das alles war jetzt nicht mehr wichtig. »Ich habe Cynthia aufgespürt«, platzte es aus ihm heraus. »Sie ist hier. Sie hat einer Organspende zugestimmt. Wie schnell können Sie uns beide testen? Wir möchten, dass die Operationen so schnell wie möglich vorgenommen werden.«
»Beruhigen Sie sich, Mr Marion. Ich möchte, dass Sie sich setzen. Bitte.«
»Ich will mich nicht setzen. Haben Sie mir nicht zugehört? Sie ist hier! Sie hat zugestimmt!«
Mr Jamieson ging langsam zur Tür. Er schloss sie und kehrte dann sogar noch langsamer an seinen Schreibtisch zurück. »Ich schlage vor, dass Sie sich hinsetzen«, sagte er.
Will spürte, wie aller Optimismus aus ihm wich. Er ließ sich auf einen Stuhl fallen und fragte: »Was ist los?«
»Ich habe Ihre Exfrau gestern behandelt. Sie war mit einer Überdosis Heroin hier.«
»Und?«
»Und … ich muss mit ihr sprechen, ehe ich mit Ihnen sprechen kann.«
»Sagen Sie einfach, um was es geht.«
»Will, sie hat fünfzehn Jahre lang Heroin genommen. Wissen Sie, was dadurch in einem Körper angerichtet wird?«
Wills Hals verlor seine Fähigkeit, den Kopf zu halten. Als er fiel, wich mit einem Schlag alle Luft aus Wills Lungen.
»Zur eigentlichen Drogenwirkung kommt hinzu, dass das auf der Straße verkaufte Heroin oft toxische Verunreinigungen oder Zusätze enthält, die die zu Lunge, Leber, Niere und Gehirn führenden Blutgefäße verstopfen können und damit zu dauerhaften Schädigungen dieser lebenswichtigen Organe führen.«
Scheiße. Sie war abgehauen und hatte ihre Nieren zugrunde gerichtet. Diese Erkenntnis verlangsamte all seine Wahrnehmungen und Bewegungen. Ein leises Stöhnen mischte sich in seinen Atem.
»Will?«, fragte Mr Jamieson. Er kam hinter seinem Schreibtisch hervor und ließ sich auf der Schreibtischplatte nieder. Das war eine Technik, die er von seiner Frau gelernt hatte, einer Onkologin in der Beatson-Klinik . »Man sollte sie nie berühren«, hatte sie ihm eines Abends erklärt. Da war er gerade von einem schwierigen Gespräch mit der Familie eines Patienten nach Hause gekommen. Er hatte der Familie erklärt, dass der Patient keine Dialyse mehr wünsche – mit anderen Worten: Er wollte sterben. Die Ehefrau hatte ihn gepackt und vier Minuten lang umarmt. Danach hatte er Rotz an der Schulter gehabt. »Aber du musst ihnen deine Anteilnahme zeigen«, hatte seine Frau, die Onkologin, erläutert. »Am besten setzt du dich auf den Schreibtisch und seufzt. Das wirkt immer.«
Mr Jamieson seufzte. »Es tut mir sehr leid. Wir müssen einfach auf die richtigen Spender für Ihre Mädchen
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