Tod sei Dank: Roman (German Edition)
auf, duschte sich, zog sich an und ging zum Bahnhof. In Neilston war jemand zu Tode gekommen. Ein Vierundzwanzigjähriger war vor einen Zug gesprungen, der in Richtung Hauptbahnhof fuhr. Er hieß John Bain. John Bain, fragte sie sich, als sie sich dem Bahnhof näherte, hast du meine Niere?
Noch ehe sie Neilston erreicht hatte, wusste sie, dass ihr Unterfangen lächerlich war. Man würde die Leiche längst entfernt haben. Alles würde wie immer sein. Aber sie konnte nicht anders. Sie musste die Art von Vorkommnis, die sie so sehr herbeisehnte, mit eigenen Augen sehen.
Der Leichnam war fort. Die Züge fuhren nach Plan. John Bain war entweder zu zermanscht gewesen, um noch von Nutzen zu sein, oder er hatte jemand anderem seine Niere gespendet, oder er hatte es versäumt, sich als Spender registrieren zu lassen.
Kay wollte nicht mehr zurück nach Hause. So wie man angestrengt nach einem Bus Ausschau hält – jetzt gleich, jetzt gleich, wenn du im falschen Moment den Kopf wegdrehst, verpasst du ihn –, so wollte sie sich den Hals nach ihrer Niere verdrehen.
Sie fuhr in die Stadt und lief eine Weile ziellos umher, bis sie ein Krankenhaus fand und den Schildern zur Notaufnahme folgte. Der Wartebereich war deprimierend wie all diese Wartebereiche: Plastikstühle, auf denen die Hustenden, die Blutenden, die Stöhnenden, die Sich-den-Kopf-Haltenden, die Beinahe-Kotzenden, die Betrunkenen und die Drogenumnebelten saßen. Bleiche Kinder spielten mit kaputtem, klebrigem Spielzeug. Sanitäter rollten Krankenbahren durch Flügeltüren. Das Empfangspersonal saß hinter dicken Glasscheiben und notierte die Krankengeschichten wandelnder Verwundeter.
»Mrs Malloy … Schmerzen im Brustkorb, sagten Sie? Gehen Sie in Zimmer fünf.«
»Mr Thomas … wann ist der Ausschlag zum ersten Mal aufgetreten? Wo befindet er sich? In der Leistengegend? Nehmen Sie Platz.«
»Ms Carroll, mit dem festsitzenden Ring, wir rufen Sie dann auf.«
»Mr King … Sie wirken unkoordiniert. Ein Autounfall? Mr King? Mr King? Schwester!«
Und so weiter.
Kay sah mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Der Mann, der sich zum Kotzen über die Pappschüssel beugte – starb der gerade? Sollte ich ihn fragen? Die Jugendliche, die bewusstlos auf ihrem Rollbett im Gang lag. Könnte ich ihre haben? Die Frau mittleren Alters mit den Schmerzen im Brustkorb, die gerade zur Ultraschalluntersuchung gebracht wurde. Frag sie, frag sie vor dem zweiten Infarkt. Haben Sie sich registriert? Würden Sie bitte erwägen, mir Ihre Niere zu spenden?
Wenn sie nur lange genug wartete, würde ihre Niere vielleicht eintreffen.
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Kapitel vierzig
Das Haus war leer. Das war Will nur recht, denn es gab einiges, was er unbeobachtet erledigen musste. Noch vor dem Morgenkaffee ging er ins Arbeitszimmer und nahm seinen Notizblock (Hatte er ihn aufgeschlagen liegen lassen?). Er setzte sich auf die Schlafcouch, holte tief Luft und pustete beim Ausatmen auf den Notizblock. »4)«, schrieb er oben auf Seite vier. Er brachte es nicht über sich, das Wort zu schreiben. Wie konnte er? Andererseits: Wenn er es nicht auf ein Stück Papier schreiben konnte, wie wollte er es dann jemals TUN?
»Selbstmord.«
Will hatte das Gefühl, ihn schon begangen zu haben. Wie damals, als er nach ihrem dritten Rendezvous »Ich liebe Cynthia« in den Zaun vor dem Bothy geritzt hatte. Falls er sie vorher nicht geliebt hatte, dann doch bestimmt danach, oder?
Einundfünfzig Millionen Suchergebnisse. Selbstmord war ein populäres Thema.
Er engte die Suchkriterien ein: »Wie man sicher Selbstmord begeht«.
Er löschte »sicher«, weil es lächerlich war, und klickte den knappen Wikipedia-Eintrag an, der die verfügbaren Optionen aufführte.
Will grübelte über der Liste von verschiedenen Möglichkeiten, die nun die Seite seines Notizblocks zu füllen begann, und verteilte seine Punkte wie folgt:
1.
Pflanzenschutzmittel
Würde die Organe kaputtmachen.
0/10
2.
Stromschlag
Autsch! Kann auch zu ernsthaften Verbrennungen führen. Andererseits … geht ziemlich schnell.
4/10
3.
Springen
Höhenangst, und Niere könnte Brei sein.
0/10
4.
Schusswaffen
Hmm.
8/10
5.
Erhängen
Nö. Wenn man es nicht richtig macht, dauert es eine Ewigkeit. Aber wenn man es richtig macht …
7/10
6.
Selbstverbrennung
Tod durch Feuer? Lieber nicht.
0/10
7.
Seppuku
Nach Art der Samurai-Krieger. Könnte ich ein Krieger sein? Vielleicht.
Könnte ich mich entsprechend verkleiden?
7a) Kleidervorschriften recherchieren und Kleider
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