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Tod sei Dank: Roman (German Edition)

Tod sei Dank: Roman (German Edition)

Titel: Tod sei Dank: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen FitzGerald
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Sobald sein Zug käme, würde er weiter in die vorstädtische Wildnis vorstoßen, in Gegenden, wo es nicht einmal mehr Pubs gab.
    Ich wollte nicht, dass er mich sähe und ging zur anderen Seite des Bahnsteigs. Setzte mich auf die Bahnsteigkante und trank ein Viertel von meiner Flasche.
    Ich bin egoistisch.
    Bin ich egoistisch?
    Bestimmt gibt es Beweise. Wenn mein Vater eine Tüte Maischips kauft und ich sie als Erste finde, esse ich alle auf.
    Die rauchenden Jungs auf der Rampe lachten mich aus. Früher hätte mir das vielleicht etwas ausgemacht, aber jetzt war mir egal, was andere über mich dachten.
    Ich bin gemein und egoistisch.
    Ein Zug kam und hielt am anderen Bahnsteig. Der Geschäftsmann stieg ein.
    Es war fünf nach neun.
    Ich will meinen Vater umbringen.
    Will ich meinen Vater umbringen?
    Ich fragte mich, ob er das alles schnell aufgeschrieben und herausgefunden hatte, oder ob er so lange darüber gebrütet hatte, wie vor einigen Jahren über diesem Drehbuch, das niemals geschrieben wurde.
    Es fällt mir schwer, mich anzupassen.
    Stimmt das?
    Ich trank ein weiteres Viertel meiner Flasche aus.
    Ich will sterben.
    Will ich das?
    Noch vier Minuten, bis mein Zug, mein Ende, eintreffen würde. Vorher noch zwei Fragen. Ich wollte sie unbedingt rechtzeitig beantworten.
    Gibt es nichts, wofür ich leben möchte?
    Wie wird es sich anfühlen, auf diese Art zu sterben, verglichen mit der langsamen Vereinigung mit meinem Alfred?
    Ich vermutete, dass es sich einen Moment lang gruselig anfühlen würde, dann sehr schmerzhaft, schmerzhafter als alles, was man sich vorstellen kann. Dann würde man vielleicht etwas hören, kreischende Bremsen zum Beispiel oder die rauchenden Jungs auf der Auffahrt, die weinen, nein, schreien würden, weil sie Jungs waren. Vielleicht würde die Stille aber auch früher eintreten, früher sogar als der Schmerz. Dann gäbe es im Grunde nur den gruseligen Teil, und mir war sowieso schon verdammt gruselig zumute. Da musste mich ein großer, gruseliger Zug auch nicht weiter kümmern. Nein, folgerte ich, verglichen mit der Vereinigung mit meinem Alfred könnte dies eine gute Todesart sein.
    Georgie und Alfred: Sie haben zusammen gelebt. Sie sind zusammen gestorben. Am Ende konnte man sie kaum noch auseinanderhalten. Wessen Schlauch war dies? Wessen rote Flüssigkeit war das? Wer hat da gerade gekichert?
    Aber ich hatte ja nur die leichte Frage beantwortet.
    Die erste war die schwierigere. Gibt es nichts, wofür ich leben möchte? » Lass mich nachdenken«, sagte ich laut. »Was ist es, wofür Menschen normalerweise leben?«
    Glück? Vergiss es.
    Geld? Vergiss es.
    Fortpflanzung? Vergiss es.
    Hoffnung …
    Liebe …
    Schon gut, ich habe verstanden.
    Ein Klicken brachte mich dazu, dass ich mich umdrehte. Auf der Anzeigetafel am Bahnsteig blinkte eine Nachricht: »Der Zug um 9:09 Uhr fällt aufgrund eines Vorfalls in Neilston aus. Alle Züge sind bis auf Weiteres gestrichen.«
    Ha! Der Zug fiel aus. Ich glaubte nicht an göttliche Zeichen, glaubte nicht einmal an Gott, aber mein Zug fiel aus!
    Ich habe unglaubliche Starrqualitäten, ein Wort, das ich mir ausgedacht habe, um meine Fähigkeit für das zu beschreiben, was ich jeden Tag stundenlang tue. Starren. Irgendwelchen Scheiß an. Ewigkeiten.
    Ich ging die Bahngleise entlang. Was hatte in Neilston passieren müssen, damit mein Zug ausfiel? Ein Vorfall. Ominöses Wort: Vorfall. Entweder war ein Meteorit eingeschlagen, oder jemand war aufs Gleis gesprungen. Jedenfalls hatte es etwas mit Tod zu tun. Würde mein Vater, wenn ich starb, den Leuten erzählen, es habe da einen Vorfall gegeben? »Wir bedauern sehr, von Ihrem Vorfall hören zu müssen«, würden sie vielleicht auf weiße Karten mit protziger Silberprägung schreiben, die kaum ihre geheime Botschaft verschleiern konnten: »Gott sei Dank war es Ihr Vorfall und nicht unserer.«
    Was Neilston anging, so nahm ich an, dass jemand da drüben sich gefragt hatte: Was ist es, wofür Menschen normalerweise leben?, und zu schlimmeren Antworten als ich gekommen war. Ich hatte anderthalb von fünf Punkten erreicht – ein bisschen Hoffnung, ein großes Verlangen nach Liebe. Er hatte vielleicht einen oder gar keinen Punkt erzielt, also war ihm keine andere Wahl geblieben, als vor den Zug zu springen (oder sich langsam herunterzulassen und vor ihm stehen zu bleiben), der anscheinend nicht für mich bestimmt war. Ich hatte die Probe bestanden. Das war doch schon was.
    Ich ging an den Gleisen entlang. Ich

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