Tod sei Dank: Roman (German Edition)
begegnet war. Der hier war kaum zwanzig und trug Jeans und eine Kapuzenjacke. In der Hand hielt er einen Koffer. »Zweihundert Pfund« war alles, was er sagte.
Will zählte das Geld ab, reichte es ihm und nahm den Koffer, ohne zu wissen, was drin war. Er hoffte bei Gott, dass es die bestellte Schusswaffe sei, und vergaß dabei völlig, dass die zugleich die Waffe wäre, mit der er sich das Leben nehmen würde.
Eine Stunde später war Will zu Hause angekommen und hielt die Waffe in der Hand. Er hatte keine Ahnung, wie dieses Modell hieß. Er hatte auch keine Ahnung, wie man sie lud oder hielt. Er war komplett ahnungslos. Die Waffe war kalt, klein und Furcht einflößend. Er berührte sie vorsichtig, legte sie auf seinen Schreibtisch und eröffnete den Unterabschnitt
7. Schusswaffe
7a) Herausfinden, wie man sie benutzt
Er musste lange suchen, ehe das richtige Bild auf dem Bildschirm erschien, und er ließ sich Zeit, um zu üben, wie man sie lud und wo man abdrückte. Als er sicher war, alles richtig verstanden zu haben, wandte er sich dem nächsten Punkt zu:
7b) Wohin schießen
In den Kopf, beschloss er. Rechte Schläfe.
7c) Wo
Es musste in der Nähe eines Krankenhauses sein, oder zumindest musste er wissen, dass ein Krankenwagen unterwegs war. Er versuchte, die durchschnittliche Wartezeit für einen Krankenwagen in seiner Gegend herauszufinden – sie lag bei zweiundzwanzig Minuten. Das wäre in Ordnung, sofern er vor der Tat anriefe. Er fügte hinzu:
7d) Zu Hause. Erst den Krankenwagen rufen
7e) Nachricht hinterlassen, um sicherzugehen, dass den Mädchen die Nieren implantiert werden
Als die Krankheit bei den Mädchen festgestellt worden war, hatte er sich sofort als Spender registrieren lassen. Doch nun musste er dafür sorgen, dass seine Nieren auch bei ihren Empfängerinnen ankamen. Er schrieb versuchsweise die Nachricht, die er hinterlassen würde:
Sehr geehrte Damen und Herren,
bitte verwenden Sie meine Nieren für meine Töchter Georgie und Kay Marion.
Mit freundlichen Grüßen,
Will Marion
7f) Die Mädchen anrufen. Ihnen sagen, dass sie ins Krankenhaus fahren müssen
7g) Kopfschuss (rechte Schläfe)
Bei den letzten beiden Punkten stockte Will. Seine Handschrift war sehr krakelig geworden. Wie sollte er jemals den Abzug drücken? Er stellte sich vor, wie er sich die Waffe an den Kopf hielt und es einfach tat. Oder es einfach nicht tat.
Und was sollte er sagen, wenn er die Mädchen anrufen würde? »Hallo, Georgie! Hallo, Kay! Ich will nur Bescheid geben, dass ich mir jetzt in den Kopf schießen werde. Könntet ihr gleich nach Hause kommen? Wenn ihr euch beeilt, kann euch der Krankenwagen, der meine Leiche abholt, vielleicht noch ins Krankenhaus mitnehmen.«
Sie wären am Boden zerstört. Sie wären wütend. Sie würden ihn hassen. Sie würden sich selbst hassen. Und die Schuldgefühle würden sie um den Verstand bringen.
Will versteckte die Waffe in seinem Aktenschrank unter W, klappte den Notizblock zu und erlebte gleich darauf eine Art spontaner menschlicher Selbstentzündung. Tränen schossen ihm aus den Augen, Flüssigkeit aus Mund und Nase. Seine Fäuste hämmerten gegen Wände. Sein Mund verspritzte Wörter: »Ich schaffe das nicht! Ich bin zu feige! Ich bin ein nutzloser Vollidiot!«
Er warf CDs aus dem Regal, fand die, nach der er suchte und trampelte darauf herum. Verbog sie. Trampelte erneut darauf herum. It’s not time to say goodbye . Er ging zu Boden, hielt inne … »Aber meine Liste ist fertig. Ganz fertig.«
Etwa zwanzig Minuten später hatte sich Will ein bisschen beruhigt. Er lag auf dem Teppich und umarmte sich. Selbstmord stand nicht nur deshalb außer Frage, weil er feige und ängstlich war, sondern auch, weil die Nachwirkungen für die Mädchen unerträglich wären. Wie konnte er Georgie und Kay allein mit ihrem Schicksal zurücklassen? Brachte er das wirklich übers Herz? Würden sie mit der Situation fertig werden?
Kay vielleicht.
Aber Georgie? Die Schuldgefühle würden sie auffressen. Sie war wie eine emotionale Satellitenschüssel, die Signale aus ihrer gesamten Umgebung empfing. Sie summte vor Sorge, sie nahm dauernd Anteil.
»Was soll ich tun?«, fragte er laut. »Was soll ich denn bloß tun?«
Es dauerte einige Zeit, bis er erkannt hatte, dass er nur eines tun konnte: sich zusammenreißen und den Mädchen ein Vater sein. Es ging ihnen doch so weit ganz gut, oder?
Oder etwa nicht?
Wo waren sie überhaupt?
Er hatte sich stundenlang mit seinem Selbstmord
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