Tod to go (Crime Shorties)
heute Nacht, dachte Nikos, als er auf dem betonierten Zellenboden lag. Er schämte sich für seine Völlerei.
Samstag für Samstag stellte Nikos sich so neben das Gitterfenster, dass der Lichtstrahl des Projektors ungehindert in seine Zelle leuchten konnte.
Bestimmt stellte sie ihn auf die Probe. Und viel zu tun hatte sie sicher auch. Rollen lernen, sich mit den Regisseuren plagen. Jeden Samstag hörte er doch, wie schwer sie schuftete. Mal platinblond gefärbt, und dann wieder mit ihrem dunklen Naturhaar. Sie war es, die Philip Marlowe befreite und mit ihrem unverdorbenen Charakter in der Chicagoer Unterwelt belästigt wurde.
Ja, seine geheimnisvolle Besucherin war beschäftigt und Nikos ungeduldig. Ungeduld konnte sie nicht leiden. Das stand mal fest.
Zur Strafe stellte Nikos das Bein der Eisenpritsche auf sein Handgelenk. Warte gefälligst ab, du verdammter Narr. Hereinschweben wird sie. Das war sicher. Nach Parfum würde sie riechen, ihm in die Augen sehen.
»Nikos, was sagst du? Bist du krank? Du hustest. Schon seit Tagen.«
»Unsinn.«
Draußen zog der Mond seine Bahn und mit ihm wanderten die Schatten der Eisenstäbe über seine Zellenwand.
Der Samstag brach heran. Nikos hatte die ausgefransten Ärmelansätze nach innen gekrempelt. Aufrecht saß er auf seinem Hocker, die Augen auf die Wand gerichtet.
Die Sonne fiel irgendwo jenseits der Bretterwand ins Meer. Draußen verebbten die Geräusche. Der Film begann. Diesmal spielte sie eine blinde Frau, die zufällig Zeugin eines Mordkomplotts wurde.
»Ich habe keine Angst mehr«, sagt ihre Stimme und dann zerschlug sie die Glühlampen in ihrem Haus, um ihren Verfolgern ebenbürtig zu sein. »Die Dunkelheit ist mein Zuhause. Hier ist alles klar. Keine Schatten.«
Nikos starrte auf die leere Wand.
»Ja, ich weiß, dass du da bist«, sagte er und lächelte. Nikos strich vorsichtig mit den Fingern über den Rand der Konservendose, der vom Kratzen an der Wand scharf geworden war wie eine Rasierklinge.
Ja, sie war da, und er hatte sie die ganze Zeit nicht bemerkt. Hatte sie nicht verstanden. So viele Wochen hatte er sie nicht verstanden. Ein Wunder, dass sie nicht die Geduld mit ihm verloren hatte.
Nikos klemmte die Konservendose zwischen die Knie und zog mit Daumen und Zeigefinger die Lider seiner Augen auseinander.
»Lösch jetzt das Licht, Nikos.«
»Ja«, sagte er und beugte den Kopf hinunter.
Der Tod auf Hallig Hooge
Am Sonntag, gleich nachdem das Wasser der Nachmittagsflut abgelaufen ist, sitze ich gewöhnlich im Pesel , trinke mein Bier und starre durch die Scheiben auf das Meer.
Auch an diesem Tag sah ich die rote Boje, die draußen auf den Wellen tanzte, Wolkenfetzen zogen vorbei und ballten sich am Horizont zu einer grauen Faust. Es war Herbst, die Jahreszeit, in der wir Bewohner der Hallig Hooge warten.
Ich dachte an den Graben, der ausgebessert werden musste, an das kranke Schaf und ob ich nach den Feiertagen den Tierarzt auf dem Festland anrufen sollte. Ich dachte an das nächste Landunter, daran, dass die Fenster besser abgedichtet werden mussten, an die noch nicht ausreichenden Sandsäcke in der Scheune. Nichts Besonderes ging mir also durch den Kopf.
Das Paar am Nebentisch bemerkte ich erst, als Anna, die Wirtin, wie immer zu laut und wie immer zu schrill, auf die Beiden einredete.
Nein, sie hätte nochmal ihren Mann gefragt, aber alle Betten seien winterfest verstaut, die Fremdenzimmer mit Terrassenstühlen vollgestellt und überhaupt, auf Besucher sei man jetzt nicht mehr eingestellt.
»Nachsaison«, sagte sie und rollte mit den Augen. Drüben auf dem Festland sollten sie es doch mal versuchen. Da hätte sie eine Telefonnummer, nicht mehr als fünfzig Euro würde ihr Schwager für das Zimmer nehmen.
Der Mann nickte verständnisvoll. Sie sagte nichts, betrachtete nur Anna, deren Gekreische keinen Widerspruch zuließ.
Jedes Bedauern ein Vorwurf.
Ich wollte mich gerade wieder meinem Bier und der Aussicht durch die Scheiben zuwenden, da hörte ich ihn sagen:
»Komm, lass uns zurückfahren. Du siehst, es hat keinen Zweck. Wir können das alles doch auch in Hamburg besprechen.«
Sie sagte: »Und eine andere Hallig?«
Der Mann sagte: »Zu spät«, zuckte die Achseln und trank einen Schluck Kaffee aus seiner Tasse. Merkwürdig, er wirkte zufrieden.
Er war jünger als sie, wesentlich jünger. Mochte so knapp fünfzig sein und sie in den Sechzigern. Er trug einen dicken Anorak. Seine verschwitzten Haarsträhnen
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