Tod to go (Crime Shorties)
Monaten zur Verfügung stehe.
Erneut surrte das Handy. Wenn ich in diesem Augenblick genau hingesehen hätte, vielleicht hätte ich das Unglück verhindern können.
Jelislava funkelte das Telefon böse an. Ich hätte bemerken müssen, wie sie sich gegen die Angst aufbäumte, wie sie begann, diesen Sport und alle zu hassen, die damit zu tun hatten. Ich hätte ahnen können, dass sie einen verhängnisvollen Entschluss fasste, mit dem sie zumindest für diese Nacht die Verbindung zur Außenwelt kappen wollte. Wie auch immer, in diesem Moment hätte ich den Mund aufmachen und sie einweihen müssen.
Mitten in der Nacht klingelte mein Telefon. Der Trainer.
»Du bist doch mit Branko befreundet, wohnst im gleichen Haus?«, sagte er. Und das er ihn telefonisch nicht erreichen könne. Ich solle hinunter in Brankos Wohnung gehen und ihn ermahnen, »seine Medizin zu nehmen«. Ich wusste, was er meinte. Branko sollte aufstehen, um sein Blut zirkulieren zu lassen, dafür sorgen, dass der Doping-Tod sich nicht anschleichen konnte.
Ich ging hinunter und drückte den Klingelknopf an der Tür. Es war kein Laut zu hören. Jelislava musste die Klingel abgestellt haben. Ich hämmerte gegen die Tür, rief auf seinem Handy an.
»… nicht erreichbar«, sagte die Stimme.
Was hätte ich tun sollen? Die Tür eintreten?
Ich hoffte. Hoffte, dass der Tod gerade in einem anderen Haus, einer anderen Straße beschäftigt war. Zu beschäftigt war, um sich eines zerschundenen Boxers anzunehmen.
Doch er hatte Zeit. Ging in der Eckernförder Bucht an Land, schlich sich über das Jungmannufer zur Prinzenstraße und erledigte seine Arbeit. Lautlos. Der Gelee in Brankos Armen schob sich einfach nicht mehr weiter. Herz und Lunge versagten. Er wachte nicht mehr auf.
Als die Polizei schon wieder gegangen und auch der Leichenwagen abgefahren war, klingelte ein Reporter an Jelislavas Tür. Er fragte, ob sie etwas von Doping wisse, ob Branko häufig in der Nacht aufgestanden sei und das »wirklich wichtig« wäre, weil es ein Hinweis auf unerlaubte Mittel sein könne. Er erklärte ihr, dass man nach Einnahme einiger Mittel verdicktes Blut habe und den Kreislauf belasten müsse, nicht durchschlafen dürfe … da sah ich, wie ein schwarzer Schimmer über ihre brechenden Augen fiel.
Ich besuche sie jede Woche. In der Klinik. Auf Anweisung des Arztes muss ich meine Armbanduhr und mein Handy abgeben, bevor ich in ihr Zimmer darf. Einmal hat sie mich angesehen, als würde sie mich erkennen. Und weitergesungen. So, wie sie nun schon seit Monaten singt. Leise, immer dasselbe Lied: »Schlaf, Kindlein, schlaf!«
Kein Frieden für Euch im Friesenland
Können Sandberge ins Meer wehen? Da draußen gibt es bestimmt große Fische. Solche, die andere Fische fressen. Und wohnen Menschen in den Hütten da vorn? Warum hat jeder seine eigene Flagge?
Jetzt jagt der Hund die Vögel mit dem schwarz-weißen Gefieder und den langen roten Schnäbeln. Sie greifen den Hund an ... fliegen ... vor dem Kopf eine Kurve ... und überall dieser feine Sand. Alles flimmert. Alles bewegt sich. Selbst jene Hügel in der kleinen Wüste am Meer haben die Form von Wellen. Wie lange mag es wohl dauern, bis der Wind so einen Hügel fortgetragen hat? Bei dem Berg hinterm Haus dauert es bestimmt hundert Jahre. Also, in hundert Jahren können sie ihn ruhig finden. Dann bin ich schon lange tot.
Der Junge in dem gläsernen Vorbau schien sie gar nicht zu bemerken. Mit seinem Fernglas sucht er den Kniepsand ab. Beobachtete sicherlich die Leute, die sich in der Nähe der Wasserlinie kleine Hütten aus Strandgut gebaut hatten, um sich vor dem Wind zu schützen.
Komisch, dachte Chris, von einem Jungen haben sie mir gar nichts erzählt. Schon gar nicht von einem asiatischen. Sie hatte bisher nur drei Herren kennengelernt, die sich hier für drei Wochen eingemietet hatten.
Chris stellte den Eimer auf den Boden. In der Mitte des alten Strandvogthauses erstreckte sich eine meterhohe Diele. Auf die hölzerne Decke waren viele kleine Sterne und ein Mond gemalt. Steinfußboden! Das bedeutete immer eine Heidenarbeit. Die Tür zum Fernsehzimmer war geöffnet.
Seltsame Gäste, dachte sie, doch das ging sie nichts an. Sie nahm ein Jackett von der Couch und trug es in die Garderobe.
Auf dem Tisch in der großen Diele standen Teller mit getrockneten Essensresten, daneben halb geleerte Sektgläser. Sie seufzte und blickte sorgenvoll die Treppen hinauf zu den Schlafzimmern. Bestimmt wartete
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