Tod to go (Crime Shorties)
die Makler, und: »Ort der kurzen Wege am linken Niederrhein-Ufer.« Aber eigentlich kein Grund, sich zu beschweren. Ja, auch in Alpen gab es einen Flutschutz, auch wenn Vater Rhein sich längst nicht so unberechenbar gebärdete wie die Nordsee.
Er stieg die Treppe hinunter ins Zwischendeck. Ein Kellner stellte drei gewaltige Portionen Sauerfleisch auf einen der Tische. Friesische Küche! Das gesäuerte Zeug wurde kalt gegessen. Mit Senf!
Über Zeitungen, Süßigkeiten, Wurstsnacks und Inselsouvenirs stand in großen Buchstaben »Kiosk«.
Ein bekanntes Gesicht entdeckte er nicht. Ein Polizist stand im Mittelgang und musterte gelangweilt die Passagiere.
»Ich bin ...«
»Lennart Veen«, sagte die junge Frau hinter dem Kiosktresen. Ihre rotblonden Haaren leuchteten auch ohne Sonne.
Sie bückte sich unter den Tresen und zog einen ledernen Aktenkoffer hervor.
»Das ist doch Ihrer?«
»Nein, mein Koffer …«
»Ihr Namensschild hängt dran.«
Sie tippte auf einen orange leuchtenden Anhänger.
»Ich habe meine Tasche eigentlich immer bei mir.«
»Kann ja mal passieren.«
»Das ist ...«
Sie beugte sich über den Tresen.
»Wir müssen ein wenig aufpassen, wegen der Terroristen und so.«
Sie tippte auf das Kreuz an seinem Revers.
»Sie sind der Wyker Aushilfspastor?«
Sie lächelte ihm verschmitzt zu.
»Ausgerechnet ein Pastor als Terrorist, das wär was Neues.«
Lennart nahm den Aktenkoffer an sich. Später würde er ihn einem Mitarbeiter der Wyker Dampfschiffs-Reederei in die Hand drücken. Womöglich wurde hier sonst noch Bombenalarm ausgelöst. Er mustert das Namensschild. Zweifellos war das sein Name. Die Tasche war abgeschlossen.
Zwanzig Minuten später fuhr die hydraulische Absperrung der Laderampe in die Höhe. Motoren heulten auf, denn bei diesem Niedrigwasser mussten die Autos eine beachtliche Steigung bewältigen, um auf den Pier zu kommen.
Er ging mit den anderen Passagieren an Land. Reisetasche und Aktenkoffer hatte er gerade abgestellt, als er heftig gestoßen wurde. Eine Touristin kreischte auf, und Lennart konnte sich gerade noch an einem Gitter festhalten.
Beim Aufrichten riss sein Hemd neben der Knopfleiste ein. Er begutachtete den Schaden und sah sich nach dem schwarzen Aktenkoffer um.
Verschwunden. Der eigentliche Besitzer musste ihn in dem Durcheinander an sich genommen haben. Ein »Dankeschön« war wohl nicht zu erwarten. Am Besten, er ließ die Sache auf sich beruhen. Fehlte noch, dass er einen klassischen Fehlstart hinlegte.
Er befühlte den Riss in seinem Hemd. Ein älterer Mann, der in einem verschnürten Pappkarton Küken vom Festland auf die Insel transportierte, sagte: »Tach, Herr Paster.«
Er grüßte zurück und stieg die Laderampe hinauf.
Wyk. Die Einkaufsstraßen hinter der Promenade, der Uhrenturm, die verwinkelten Gassen, nein, nichts kam ihm bekannt vor.
Das neue Rathaus hatte ein hartgesottener Architekt mitten zwischen die alten Häuser gesetzt. Ebenso wie die zahlreichen anderen Neubauten, die die geduckten kleinen Friesenhäuser bedrängten.
Jugendliche belagerten eine Parkbank und beschäftigten sich mit ihren Smartphones. Die mobile Einsamkeit hatte auch auf Föhr Einzug gehalten.
In den Wyker Gassen hing der Geruch von Fett und Leberkäse, nach gebratenen Heringen und Zwiebelringen. Touristen waren auf der Suche nach günstigen Angeboten. Müde Kinder schleppten ihre Tigerenten, Bären, Dinosaurier und Wrestlingmonster vorbei an herausgeputzten Reetdachhäusern.
Eine Schlachterei lockte mit frisch gegrillten Hähnchen, und gegenüber sammelte sich eine Gruppe von sechs übergewichtigen Jungen. Sie handelten vor der Eisdiele mit einer Betreuerin die Anzahl der Eiskugeln aus, die sie kaufen durften.
»Zwei«, sagte die junge Frau und reckte zwei Finger in die Höhe.
»Dann lieber gar keins«, sagte einer und schien damit die allgemeine Stimmung getroffen zu haben. Wortlos wandten sich die sechs Jungen von der Eisdiele ab und schlurften die Straße herunter.
Auf der Seebrücke flatterte der Wimpel der Badeaufsicht. Lennart blieb vor einem Strandkorb stehen. In so einem Ding hatte man die Leiche der jungen Frau gefunden. Mit einem Einstich in der Armbeuge und neben ihr ein Fixerbesteck. Von hier aus war sie in den Himmel über Föhr gefahren, in ihren Venen den hochexplosiven Treibstoff.
»Verdammte Drogen«, hatte Inselpastor Hinrichs am Telefon gesagt. »Aber Blödheit hat es auch in sich. Weiß der Teufel, warum ich auf eine wackelige Kiste
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