Tod to go (Crime Shorties)
Telefon klingelte.
Marias Mutter.
»Es geht um Alanya. Sie meint, man müsse ihnen vertrauen und, na ja, ich will nicht, dass schlecht über Maria geredet wird.«
»Also spricht sie doch.«
»Ein paar Brocken Englisch und Spanisch.«
»Jedenfalls hat Maria kleine Säckchen aus dem Meer gezogen. Aus einem Priel. Die muss ein Schiff über Bord geworfen haben.«
»Und was hat sie mit den Säckchen angefangen?«
»Mir hat sie ja nichts erzählt, aber Alanya sagt, sie hätte sie versteckt. Auf dem Wrack im Hafen. Ich bin ihre Mutter und was erfahre ich? Nichts«
»Und die Polizei?«
»Ich will nicht, dass Maria in den Dreck gezogen wird.«
»Aber ...«
»Und noch was. Alanya will sich unter ihren Schutz begeben. Sie hat ihre Sachen gepackt.«
»Aber das geht nicht.«
»>Kirchenasyl<, hat sie gesagt. Wahrscheinlich das einzige deutsche Wort, das sie kennt.«
»Ausgeschlossen!«
»Na, dann mal viel Vergnügen, Herr Pastor.«
»Sagen Sie ihr, dass mit dem Kirchenasyl funktioniert auch, wenn sie bei Ihnen in der Wohnung bleibt.«
Auf der anderen Seite der Leitung hörte er ein Stöhnen.
»Und wenn die Polizei kommen sollte, sagen sie, der neue Pastor hätte das Mädchen mitgebracht, und sie sollen sich bei mir melden.«
Am Abend lag ein kleines Säckchen vor der Tür des Pastorenhauses. Das weiße Pulver konnte alles Mögliche sein. Musste Maria sterben, weil sie einen Teil des Stoffes beiseite gepackt hatte. Entpuppte sich das Mädchen als Drogendealerin?
Im Säckchen befand sich neben dem Pulver ein aufgeblasener Plastikbeutel. Nach oben hin war der Sack mit einem Stück lichtreflektierender Folie umwickelt.
Boyens wusste sofort, welches »Wrack« Alanya gemeint haben musste.
»Das englische Geisterschiff. Wir nennen es so. Direkt an der Hafenmole.«
Der Kahn dümpelte im Hafenwasser. Nur mit viel Fantasie konnte Lennart den Schriftzug »Klonseywer« entziffern. Das Schiff schien sich seines Namens zu schämen. Mit einer Rostattacke versuchte es, die Buchstaben zu zerfressen.
Der Aufbau des Kahns sah aus, als sei es aus dem verrotteten Klettergestänge eines längst vergessenen Kinderspielplatzes zusammengeschweißt. Die Brücke glich einem blechernen Kamin, aus dem man in aller Eile ein paar Fenster her ausgefräst hatte. Am Bug prangte eine besonders starke Eisenplatte, die, einem Keuschheitsgürtel gleich, die Jungfräulichkeit des Schiffes zu verteidigte.
Immerhin war der Kahn nicht untergegangen, sondern hatte seine Mannschaften durch Stürme und schwere See in den nächsten Hafen gebracht.
Die Fähre nach Sylt legte vom Pier ab. Er stellte gerade die Schärfe des Fernglases ein, als etwas auf seinem Kopf explodierte. Er sackte in ein bodenloses, schwarzes Loch. Als die dunkelroten Wolken vor seinem Gesicht wieder aufrissen, sah er Boyens über sich.
»Das gibt einen gewaltigen Brummschädel.«
Lennart hatte das Gefühl, als arbeite sich jemand mit einem Presslufthammer durch sein Hirn.
»Vielleicht sollten wir doch die Polizei holen?«, fragte Boyens.
»Für die sind doch irgendwelche Festlanddealer am Werk, die lassen sich ihr Inselidyll nicht kaputtmachen.«
»Besser, Sie gehen zum Arzt.«
»Der kann mir auch nicht ausreden, dass ich auf dem Kahn einen Schatten gesehen hab.«
»Auf Geisterschiffen sind immer Schatten.«
»Was soll das Geisterschiffgerede?«
»Nennen Sie es, wie sie wollen.«
»Das hier ist nicht die Oper und der Kahn ist nicht der Fliegende Holländer.«
Boyens setzte sich ins Gras.
»Manchmal sind die verlassenen Schiffe monatelang durch die See gekreuzt«, sagte er.
»Seemannsgarn«.
»Für Leute aus den Alpen vielleicht. Nehmen wir den Seenotrettungskreuzer Adolph Bermpohl. Wurde südöstlich von Helgoland aufgebracht. Der Mast geknickt, das 15 Millimeter starke Panzerglas zerbrochen. Die Mannschaft über Bord gespült. Der Diesel lief noch. Die vier Besatzungsmitglieder blieben verschwunden. Ebenso wie die Leute von dem vorher noch geretteten Kutterschiff. Das muss eine Grundsee von mindestens zwanzig Metern gewesen sein.«
»Trotzdem war ein Schatten auf dem Kutter.«
Lennart griff zu seiner Kamera, doch jemand hatte den Speicherchip entfernt.
Mit einer Kamera, die er sich beim Besitzer der Inseldrogerie geliehen hatte, lag er bereits am nächsten Tag wieder im Dünengras und beobachtete das Wrack. Ein Schaf trottete heran und zupfte neben ihm ein Büschel Gras aus dem Boden.
Diesmal hörte er das Rauschen des Schlages, kurz bevor er in die
Weitere Kostenlose Bücher