Tod und Leidenschaft (German Edition)
Tafel.
Diesmal habe ich auch ein anderes Messer gewählt. Ein kleineres, scharfes, das ich in der Arbeit entdeckt und mitgenommen habe.
Ich sah den Arzt damit wirken und wusste, dass es meines ist.
Er wird es kaum vermissen, so viel wie dort verschwindet. Und sollte er mich doch darauf ansprechen, so wird mir etwas Plausibles einfallen.
Jetzt zählt nur die Nacht und meine Aufgabe. Nichts anderes. Und die alles überstrahlende Vorfreude.
Die Tasche nehme ich dennoch mit. Für mein Erinnerungsstück. Wobei es ja durchaus sein könnte, dass ich mehrere Stücke mitnehme. Besonders schöne Stücke vielleicht.
Ich denke, ich werde mich überraschen lassen.
Die Nacht ist kühl und still ist es in meiner Straße. Die wenigen verbliebenen Anwohner liegen in ihren Betten.
Irgendwo bellt ein Hund.
Habe ich je meine Umgebung derart klar wahrgenommen? Die Kirchturmuhr mit ihrem hellen Schlag. Die Geräusche der Droschken in der Ferne?
Selbst der Mond scheint heute Nacht sichtbar zu sein. Er wird mir den Weg weisen zu meiner Erleuchtung.
Heute Nacht schenke ich Gott einen neuen Engel. Ich wandle das, was er so minderwertig und unnütz erschaffen hat, in etwas Reines. Nichts anderem Gleichendes.
Fest und ruhig ist mein Schritt. Gesammelt meine Miene. Den Rücken gestrafft, den Blick in die Ferne.
Ich bin ein schöner, stolzer Meister meines Geschickes.
Und ich falle nicht auf. Bewege ich mich doch in diesem Gewirr aus dreckigen Gassen, Hinterhöfen und Durchgängen wie ein Schatten, der dort seit Jahrhunderten existiert.
Spüre ich nicht unter meinen Füßen die römischen Straßen, die Wege, über die ein Alfred der Große gewandelt ist?
Ich binde Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Erhebe mich in meine eigene Unendlichkeit.
Wie muss ich mich zusammenreißen, dass ich die gammelnden Taugenichtse und dreckigen Huren nicht anlächle.
In einer Welt, wo ein Lächeln das Ende deiner Existenz bedeuten kann.
Die Weiber tändeln an den Häuserecken. Sprechen mich an. Manche gehen frech ein paar Schritte neben mir her und offerieren dabei ihre Künste. Ich aber antworte gar nicht. Behandle sie wie Luft, bis sie unter Flüchen den Nächsten ansprechen.
Noch habe ich sie nicht gesehen. Noch hält sie die Vorsehung vor mir verborgen.
Gegröle dringt aus einer Kneipe an mein Ohr. Der Nebel liegt schwer über den düsteren Gassen.
Kreaturen schieben und drängen sich durch den knöcheltiefen, stinkenden Matsch. Ich schaue nicht nach unten, wenn ich mit dem Fuß gegen etwas Festes stoße.
Um einen Pferdekopf, über den ich vor wenigen Tagen stolperte, prügelte sich sogleich eine ganze Gruppe von Bettlern, Huren und Tagedieben. Weiß Gott … sie werden wohl Suppe aus diesem Abfall kochen. Oder noch das rohe Fleisch vom Knochen reißen mit ihren schlechten Zähnen.
„A mighty fortress is our God … “ Die Stimme singt tief und dröhnend, dabei überraschend sicher in der Melodie des Kirchenliedes. Dennoch ist es ein Weib. Unsicheren Schrittes stolpert sie an einem Kerl vorbei, der unter der einzigen Laterne weit und breit herumlungert. Er versetzt ihr einen Hieb mit der Faust, sie taumelt und fängt sich wieder.
Ein heftiger Hustenanfall schüttelt sie. Wie sie sich an der Hauswand abstützen muss. Sie spuckt auf den Boden und hebt dann erneut an: „A tower of strength ne‘ er failing.“
Das Zeichen!
Ich halte mich in gutem Abstand zu ihr. Der kleine, rundliche Körper schwankt von einer Seite der Gasse zur anderen. Bleibt im Matsch stecken. Unterbricht den Gesang, um zu fluchen und singt dann weiter.
„A helper mighty is our God …“
Die Gasse wird leerer. Die verlotterten Kneipen werden weniger. Ihre Stimme hallt von den schiefen Wänden der Häuser wider. Hier wirst du keinen Kunden finden, du dumme Schlampe , sage ich ihr in meinen Gedanken. Dass sie genug für ein Bett für die Nacht verdient hat, kann ich mir nicht vorstellen.
Es macht mir Vergnügen, so ein bisschen hinter ihr herzulaufen. Und selbst wenn sie jetzt einen fände, der bereit wäre, seinen Schwanz in ihr dreckiges Loch zu stecken – ich würde einfach in den Schatten warten, bis er fertig wäre.
Ganz ruhig.
„He overcometh all. He saveth from the fall“, hallt es kehlig. Sie stolpert, fängt sich ab und flucht abermals.
Jetzt muss sie sich an eine Mauer lehnen. Ihr Atem geht rasselnd. Ich höre ihn bis hierher.
Sie würgt und gurgelt. Schleim. Zäher Schleim, dem Klang nach zu urteilen. Du hättest nicht so laut singen sollen,
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