Tod und Leidenschaft (German Edition)
einen Preis hatte. Und den musste sie nun bezahlen.
Doch wie erschöpft sie auch, wie ihr Körper auch vor Kälte zitterte, sie fand doch keinen Schlaf. Unruhig wälzte sie sich hin und her. Harris beherrschte all ihre Gedanken. Sie würde es ihm heimzahlen. Würde herausfinden, der die Frau war, die er dort an der Treppe geküsst hatte. Alles würde sie ihr erzählen! Alles!
Aber was hätte sie davon? Außer, dass der Hass weiter an ihr fressen würde? Hatte sie sich so in ihm täuschen können?
Ihre Gedanken gaben keine Ruhe. Gegen Morgen fiel sie in unruhigen Schlaf, aus dem sie weinend erwachte.
Die Vorstellung, in den Laden zu gehen, als sei nichts geschehen, war schier unerträglich, wollte sie doch nichts weiter, als sich in ihrer Stube verkriechen. Keinen Menschen mehr sehen.
Dennoch stand sie bei Morgengrauen auf, legte die nassen, verdreckten Sachen ab und zog ihr anderes dunkles Kleid an.
Elizabeth erinnerte sich mit pochendem Schmerz an das Kleid der anderen. Wie schön, wie kostbar. Die hatte nicht nur zwei, aus denen sie wählen konnte. Die musste sich auch nicht alleine mit Korsett und Unterröcken quälen. Gewiss hatte sie eine Zofe, die den Straßendreck aus ihrem Saum bürstete … Und das schöne Haar, die kostbare Haube. Elizabeth betrachtete sich im Spiegel, während sie ihre Frisur ordnete.
Eine solch reiche und schöne Frau würde sicherlich von jedem Mann dem kleinen Ladenmädchen vorgezogen. Noch dazu, wenn der Mann selbst so gut aussah und aus besseren Kreisen kam.
War es nicht die älteste Weisheit der Welt, dass jeder Mann in seinen eigenen Kreisen heiratete? Frauen wie sie mussten sich da mit der Rolle der Geliebten abfinden, des kleinen Bonbons für Zwischendurch, das man benutzte und ausspuckte, wenn es einem nicht mehr schmeckte.
Sie hätte es gleich wissen müssen.
Auf der Straße herrschte das gleiche Gedränge wie immer. Die Zeitungsjungen brüllten den immer gleichen Singsang. Droschken und Reiter kämpften sich die Wege frei, während Hausfrauen mit Körben über den Armen mit Händlern um den Preis von Kohl feilschten.
Alles war wie immer, aber Elizabeth gehörte nicht mehr dazu.
Wie ein Phantom bewegte sie sich durch die Menschenmengen. Ging wie ein Schatten durch Gassen und Straßen.
Selbst Mister Lewinsky saß wie immer hinter seinem Tisch und grüßte mit der gleichen fröhlichen Stimme wie immer.
„Guten Morgen, Miss Montgomery. Na? Wie war ihr freier Tag?“
Elizabeth kämpfte mit den Tränen. Mühte sich, ihm den Rücken zuzuwenden, während sie ihr Cape auf den Nagel hängte und die Schürze umband.
„Gut. Danke.“
Ihre Stimme so gepresst, dass sie sie beinahe selbst nicht erkannte.
„Ist etwas vorgefallen?“ Nicht mal dem alten Mann konnte sie etwas vormachen …
„Nein.“ Mehr brachte sie nicht heraus.
Sie griff nach einem Hutständer und trug ihn zum Schaufenster. Bewegte sie sich noch, oder war sie schon erstarrt?
Alles in ihr war leer, und wo noch vor Kurzem Liebe und Zuversicht geherrscht hatten, existierte jetzt nur noch dumpfer Schmerz.
„Miss Montgomery … halten sie mich bitte nicht für aufdringlich … aber sie sehen fürchterlich aus.“
„Das ist der viele Regen, Mister Lewinsky.“
Sie zuckte zusammen, als sich zwei Hände auf ihre Oberarme legten und für einen winzigen Moment spürte sie Harris Anwesenheit.
Aber es war nur Lewinsky, der sie zu sich umdrehte und ihr tief in die Augen sah.
„Verweinte Augen … Kalkweiße Haut … So etwas kommt nicht vom Regen …“, sagte er sanft.
„Es ist alles in Ordnung. Danke, Mr. Lewinsky.“ Sie drehte den Hut ein wenig hin und her.
„Wenn sie jemanden zum Reden brauchen …“
Elizabeth presste die Lippen zusammen und nickte.
Es erschien ihr unmöglich, irgendeinem Menschen gegenüber ihre Beschämung zu offenbaren.
„Dieses Leben ist zu kurz, wissen sie?“, sagte er leise. Die junge Frau wandte sich um und holte den nächsten Hutständer.
„Was gibt es neues von Jack?“
Er wollte wohl lediglich das Thema wechseln, doch Elizabeth zuckte wie von einer Peitsche getroffen zusammen.
„Jack?“ Das war Harris Kosename …
„Jack the Ripper, meine ich …“
Sie erinnerte sich an das russische Mädchen und zuckte mit den Schultern.
„Nichts. Er ist wohl immer noch nicht gefasst.“
Als kümmere sie der Mörder noch …
Müdigkeit kroch in ihren Gliedern hoch und sie sehnte sich nach einem Eckchen, wo sie nur für ein paar Minuten die Augen schließen
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