Tod und Leidenschaft (German Edition)
hergeschoben. Tag für Tag hatte er sich vorgenommen, am nächsten Tag hin zu gehen. Ganz sicher. Und dann hatten ihm tausend noch so winzige, in seinen eigenen Augen nichtswürdige Gründe genügt, um es abermals zu verschieben.
Doch nun konnte er nicht mehr anders. Er musste sich den Dingen stellen. Ein klares Wort sprechen.
Nächtelang hatte er wachgelegen und seine Worte erst formuliert und dann rezitiert. Wie ein Schauspieler seinen großen Monolog.
Jeden Moment ab der Minute, da man ihm die Tür öffnen würde, hatte er sich genau überlegt.
Zunächst würde er mit Adelaide alleine sprechen. Er würde ihr seine Gründe darlegen … Die Unvereinbarkeit seines Berufes mit ihren Ansicht und Auffassungen. Die Gefahren, denen er Tag für Tag ins Auge sehen musste. Dass er aber ohne seinen Beruf nicht existieren konnte. Und als schwerwiegendsten Grund wollte er sagen: Weil ich dich nicht glücklich machen kann!
Dann würde er mit ihren Eltern sprechen und ihnen sagen, dass er um Adelaides Willen die Verlobung auflösen werde. Er wolle ihrem Glück nicht im Wege stehen und selbstverständlich alle Schuld auf sich nehmen.
Harris rechnete mit einem Strom von Tränen, sowohl bei Adelaide, als auch bei ihrer Mutter. Vom Vater würden mit Sicherheit Vorwürfe kommen. Aber er würde sie mit seinen Argumenten beiseite wischen können.
Dann würde er, ohne sich auf Diskussionen einzulassen, das Haus verlassen.
Es wäre ein schwerer Weg, aber er war nicht ungangbar.
Und so stand er vor der wuchtigen Tür, die ihm mit den Worten des Butlers geöffnet wurde: „Madame erwartet sie, Sir.“
Harris kontrollierte seinen Atem, seine Haltung. Er würde jeden Schritt aufrecht gehen!
Die Tür zum Salon wurde geöffnet und er trat ein.
„Aaaaah … mein lieber John … wie schön! Sie haben den richtigen Zeitpunkt gewählt …“ Adelaides Mutter strahlte ihn an. Sie stand an einem Tisch, der bedeckt war mit Zeichnungen und Magazinen.
„Sagen sie, mein Lieber … sie wissen nicht zufällig, wie lange das Kirchenschiff ist?“
Harris starrte sie an.
Ihr Lächeln blieb ungebrochen. „Sehen sie … es geht um Adas Schleppe. Sie soll nicht zu lang sein, aber auch nicht zu kurz. Wir nähern uns nämlich einem wirklich schönen Entwurf … Wenn sie mal schauen wollen …“
Er trat schweigend an den Tisch. Alle aufgeschlagenen Seiten zeigten Bräute in verschwenderischem Prunk. Auch Darstellungen königlicher Hochzeiten fehlten nicht.
„Ich konnte Ada überzeugen, sich für lange Ärmel zu entscheiden. Wir wissen ja nicht wie das Wetter wird und außerdem finde ich kurze Ärmel in d er Kirche immer noch unpassend.“ Ihre Blicke schweiften vor Begeisterung strahlend über die Bilder und blieben dann an ihrem Schwiegersohn in Spe hängen.
„Seide … was halten sie von elfenbeinfarbener Seide?“
„Schön. Sehr schön“, sagte er matt, denn das war wirklich nicht, was er vorgehabt hatte.
„Das ist natürlich nicht ganz billig, aber es soll an diesem Tag an nichts gespart werden. Orangenblüten bekommen wir von ihrem Bruder aus dessen Orangerie. Ist das nicht reizend von ihm? Sollten die nicht reichen, werden wir aus Sevilla welche bekommen. Die Spanier sind da sehr zuverlässig. Ich habe das bereits geprüft.“
„Gewiss“, erwiderte Harris tonlos.
Als die Tür abermals geöffnet wurde und Adelaide eintrat, beschenkte ihre Mutter sie mit dem gleichen strahlenden Lächeln wie zuvor Harris.
„John …“, sagte Ada ruhig und empfing einen gehauchten Kuss auf die Wange von ihrem Verlobten. Er aber spürte, dass ihm die Dinge entglitten.
„Liebes … John und ich haben uns gerade gefragt, wie lang die Schleppe sein solle …“
„Mama … bitte …“
Was war los mit ihr?
„Ja, ich weiß … Das ist kein Thema für einen Mann!“ Jetzt lachte sie sogar und merkte offensichtlich nicht, wie wenig ihrer Tochter an der Schleppe gelegen schien.
„Ach … ich verstehe … Ihr wollt einen Moment alleine sein … Gut. Ich werde euch alleine lassen. Aber wirklich nur einen Moment!“
Damit rauschte sie hinaus.
„Es ist schön, dass du dich mal wieder sehen lässt. Wie geht es dir? Was macht deine Verletzung?“
Harris wusste nicht, ob sie sich wirklich für seine Wunde interessierte, oder nur eine Überleitung brauchte. So wie er selbst …
„Sie heilt. Es geht mir recht gut. Danke.“
„Das ist schön.“
Sie stand da. Schlank und schön. Gerade so, als sei aus einem der Magazine entsprungen, die auf dem
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