Tod und Leidenschaft (German Edition)
Nachtluft war empfindlich kalt und Harris fröstelte, obwohl er seinen Mantel geschlossen hatte.
Bald würde man den Atem als weiße Wolke vor dem Mund sehen, wenn die Temperaturen weiter so fielen …
Sein Herz krampfte sich zusammen, als er Lewinskys Laden sah. Ein kleines Schild bezeugte, dass geschlossen war. Alle Lichter waren verloschen. Nur hinten im Atelier brannte wohl eine Lampe.
Ohne zu zögern klopfte er gegen das Glas.
Nichts rührte sich.
Jetzt pochte er energischer und seine Faust wurde dabei eiskalt.
Ein kleiner Schatten schob sich vor das Licht, aber es war nicht Elizabeth, sondern Lewinsky selbst, der jetzt die Tür aufsperrte.
„Inspector Harris?“, fragte er verwundert und blinzelte gegen die kalte Nachtluft.
„Guten Abend, Mr. Lewinsky. Ich war mit Miss Montgomery verabredet, aber sie ist nicht erschienen. Ist sie noch im Laden?“
Der alte Mann zog die Mundwinkel herab und schüttelte sein graues Haupt.
„Nein. Das tut mir leid. Sie ist wohl schon vor einer Stunde oder so gegangen.“
Harris nickte und wollte sich gerade verabschieden, als Lewinsky besorgt sagte: „Es wird doch nichts passiert sein?“
„Sicher nicht. Sie hat wohl nur vergessen, dass ich auf sie warte.“ Er glaubte seinen eigenen Worten nicht.
„Oh, das würde aber nicht zu ihr passen, Sir. Das kann ich mir nicht vorstellen.“
Harris ebenfalls nicht, aber es hatte auch keinen Sinn, eine Diskussion mit dem alten Mann zu beginnen.
„Ich werde zu ihr nach Hause gehen und dort nachsehen. Ich danke ihnen vielmals. Guten Abend!“
„Ja. Guten Abend. Guten Abend.“
Lewinsky stand noch immer in der offenen Tür, als Harris sich bereits einige Schritte entfernt hatte.
Gerade so, als erwarte er noch etwas.
Harris sah sich hin und hergeworfen in einem Strudel aus Gedanken und Befürchtungen.
Warum war sie nicht zum Pub gekommen? Selbst wenn sie als Frau nicht gewagt hätte, einzutreten, so hätte sie sich doch am Fenster klopfend bemerkbar machen können.
Jetzt fühlte er sich in dem Gedanken bestätigt, dass etwas vorgefallen sein musste.
Elizabeth mied ihn. Daran gab es keinen Zweifel. Dass sie die Verabredung vergessen haben mochte – daran glaubte er keine Sekunde.
Aber was hatte sie so erzürnt? War nicht alles in bester Ordnung gewesen? Mühsam ging er noch einmal ihre letzte Begegnung durch, suchte nach einem wenn auch nur winzigen Hinweis auf eine Verstimmung. Aber da war einfach nichts.
Und dann hatte er einen Gedanken: Was, wenn Elizabeth sich in einen anderen Mann verliebt hatte?
Augenblicklich wischte er den Gedanken beiseite, denn dieser war wie ein scharfes Messer in seine Brust gefahren.
Harris lenkte seine Schritte in Richtung ihrer Wohnung.
Mit jedem Atemzug verdüsterten sich seine Gedanken.
Etwas war vorgefallen und er fürchtete sich vor dem Moment, da sie ihm sagen würde, was es war.
Er wollte es nicht wissen. Wenn sie über ihn verärgert war … sollte er ihr nicht eine Pause gönnen? Die Möglichkeit geben, sich zu beruhigen?
Unentschlossen stand er vor ihrer Tür. Das Licht brannte in ihrem Zimmer, was ihn schon einmal beruhigte. Nun brauchte er nur noch klopfen …
Aber Harris vermochte es nicht.
Er stand nur da und starrte die abgeblätterte Farbe der Haustür an, d ie Faust in der Tasche geballt.
Nach einem Moment des Nachdenkens wandte er sich ab und steuerte stattdessen Inspector Abberlines Adresse an.
Er brauchte dringend Ablenkung und außerdem jemanden, mit dem er die neuen Erkenntnisse besprechen konnte.
Eine Zugehfrau öffnete ihm. Nachdem er seinen Namen genannt hatte, ertönte Abberlines Stimme aus dem Hintergrund:
„Mrs. Honicombe … lassen sie Inspector Harris ein!“
Die Matrone in gesteiftem Kragen und weitem Rock schloss die Tür hinter Harris und erklärte mit zusammengepressten Lippen:
„Er hat ja eigentlich Feierabend, Sir.“
„Ich weiß“, erwiderte Harris. „Ich werde auch nicht lange bleiben.“
Sie machte grimmig „Hm“ und signalisierte damit ihre unangefochtene Stellung als Herrin des Hauses.
Abberline saß am prasselnden Feuer in einem Schaukelstuhl.
„Setzen sie sich, mein Lieber. Mrs. Honicombe … bringen sie doch bitte meinem jungen Kollegen und mir eine schöne Tasse Tee …“
Er klappte das Buch zu, in dem er gelesen hatte und legte es auf ein zierliches Tischchen an seiner Seite.
„Nun, mein guter Harris … was führt sie so spät am Abend zu mir?“
Harris setzte sich und kam dabei nicht umhin, festzustellen,
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