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Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi

Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi

Titel: Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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Party ab. Die
Platzhirsche versammelten eine Runde von Zuhörern um sich und gaben mit
verwaschener Aussprache zotige Anekdoten zum Besten. In der Raucherzone vor der
Damentoilette brach eine Gruppe von Frauen alle fünf Sekunden in albernes
Gekreisch aus, und am äußeren Rand der Tafel fand im erlesenen Kreis alter
Parteisoldaten ein Kampftrinken statt.
    Wohl um das völlige Abgleiten in ein derbes Besäufnis zu verhindern,
trat Ralf-Walther Hillgruber, der Generalsekretär, ein farbloser kleiner Mann
mit Hängebacken und schütterem Haar, gegen elf ans Rednerpult und hielt eine
wenig inspirierte Rede zum Thema Bilanz und Ausblick, beschwor liberale
Tugenden und mahnte, Bewährtes fortzuführen. Einige am Tisch gähnten ungehemmt.
    So auch eine Frau, die neben mich trat. »Also wirklich«, meinte sie
und schob sich eine gefüllte Olive in den Mund. »Rednertalent,
Überzeugungskraft, Charisma – was all dies wert ist, wird einem immer erst dann
klar, wenn man es vermisst, nicht wahr?«
    Eigentlich seltsam, dass sie mir nicht schon vorher aufgefallen war.
Sie war eine beachtliche Erscheinung, die kühle, intellektuelle Distanz und
aufdringliche Sinnlichkeit in einer Person vereinte. Ihr kurzes, exakt
frisiertes Haar lag eng am Kopf an – das Gesicht war so perfekt, dass es aus
dem Modelkatalog eines Visagisten stammen konnte. Was sie trug, konnte man
eigentlich nicht als Kleidung bezeichnen, es war ein raffiniert geschnittenes
Stück Textil, das alles, was es bedeckte, betonte.
    Sie kam mir irgendwie bekannt vor.
    »Bevor Sie jetzt fragen, ob Sie mich nicht irgendwoher kennen, sage
ich Ihnen gleich, dass ich vor ein paar Tagen im Fernsehen war. ›Titel, Thesen,
Temperamente‹.«
    »Genau«, nickte ich. »Jetzt fällt es mir ein. Susann Bolzenius,
nicht wahr?«
    Sie war gerade mal zweiundzwanzig Jahre jung und die neue Entdeckung
der Buchwelt. Nicht dass ich mich in dieser Welt ausgekannt hätte, aber an dem
Gesicht dieser Frau kam man nicht vorbei. Selbst wenn man sich allen Talkshows
und dem Internet konsequent verweigerte, lauerte es einem spätestens auf den
unterirdischen, gekachelten Zugängen zu öffentlichen Toiletten hinter staubigen
Vitrinenscheiben auf. Mit ihrem Skandalroman »Mamas Muschi«, der die sexuell
aufgeladenen Visionen einer jungen Frau in einer Kleintierpraxis schilderte,
hatte die Bolzenius über Nacht die Bestsellerlisten gestürmt. Kritiker
überschlugen sich mit Lobhudeleien, und auf der letzten Buchmesse war die
Newcomerin vom Börsenverein des deutschen Buchhandels zum »Literarischen
Playmate des Jahres« gekürt worden.
    »Sie denken, ich bin Schriftstellerin, nicht wahr?« Frau Bolzenius
lächelte geheimnisvoll. »Dabei stimmt das gar nicht.«
    »Sie sollten sich von schlechten Kritiken nicht entmutigen lassen«,
riet ich.
    Ihr Lächeln wurde gnädig. »Dieses Buch habe ich nur so geschrieben,
verstehen Sie? Ich wollte mir beweisen, dass ich so was kann. Meine eigentliche
Welt aber ist die Politik.«
    »So wie die Notebooms oder Hillgrubers?«
    »Oder Strumpfs.«
    »Wer ist das jetzt wieder?«
    »Von der ADAP haben Sie sicher schon
gehört?« Frau Bolzenius hielt mir eine gefüllte Peperoni zum Naschen hin. »Das
ist Strumpf. Eigentlich wollte er heute hier sein, weil er demnächst mit den
Mittelständlern koalieren will. Dabei hat er keinen Schimmer, was liberal ist.«
    »Sie aber schon?«
    Das Starlet lächelte geheimnisvoll. »Glauben Sie nicht denen, die
Ihnen weismachen wollen, dass liberal sein ein politisches Programm sei. Es ist
ein Lebensgefühl. Liberal sein bedeutet, Tabus zu brechen. Zu wissen, wo man
den Wähler packen kann, ihn berühren. Aber das reicht noch nicht. Vor allem
muss man wissen, wo man ihn berühren muss, denn nur dann kann man ihn erregen.«
Ihr Blick, der mich über den Rand ihres Glases hinweg traf, ließ mich spontan
ahnen, wie schön dieses Lebensgefühl sein konnte. Diese Frau verstand es
wahrhaftig, einem politische Standpunkte nahezubringen.
    »Hätten Sie nach der Weihnachtsfeier schon etwas vor?«, erkundigte
ich mich.
    Frau Bolzenius verschluckte eine weitere Olive, und die Art und
Weise, wie sie sie erst schmatzend ansaugte und dann verschluckte, konnte man
nur als höchst liberal bezeichnen. »Sonntagabend«, hauchte sie, »werde ich im
Mühlenhof lesen. Wenn Sie wollen, reserviere ich Ihnen einen Platz.«
    Ich kam nicht mehr dazu zu antworten. Am Saaleingang war ein kleiner
Tumult entstanden. Zunächst schien der Anlass der Champion der

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