Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi
Auch sein Gesicht war grün und aufgedunsen. Die Augen quollen fast aus
dem Kopf, die Lippen waren grau, Schaum und Speichelreste bedeckten die Kinnpartie.
Kein Bild für die parteiferne Presse.
»Entschuldigen Sie«, sprach mich jemand von hinten an, ein junger
Kerl mit Seitenscheitel und einer aufdringlichen Pfefferminz-Fahne, »darf ich
Sie etwas fragen?«
»Nein«, sagte ich. »Später vielleicht.«
Er ließ sich aber nicht abwimmeln. »Könnte ich Ihren
Mitgliedsausweis sehen?«
»Düsseldorf«, erklärte ich ziemlich genervt. »Hauptkommissar, Kripo
Münster. Und Sie stören mich bei der Arbeit.«
»Herr Düsseldorf steht da drüben.« Er packte mich am Arm und deutete
auf eine übergewichtige Gestalt in einem schlecht sitzenden zitronenfarbenen
Jackett, die mir zuwinkte.
»Herr Kommissar«, wunderte ich mich. »Erst die Weihnachtsfeier, dann
noch ein Diensteinsatz – das nenne ich Arbeitsmoral!«
»Was redet der Kerl da?«, meinte der Rausschmeißer im hellen Anzug.
»Keine Sorge«, sagte Düsseldorf, »der arbeitet für mich. Also Finger
weg.«
Düsseldorf kam zu mir herüber, packte mich an der Schulter und
bugsierte mich in einen Nebenraum. In der Ecke befand sich eine ältliche
Sitzgarnitur aus den siebziger Jahren. An der Wand gegenüber ein kleines
Waschbecken, daneben ein Spender für Papierhandtücher. Vom Fenster aus hatte
man den gleichen grandiosen Blick.
»Diese Leute, Herr Frings«, raunte der Kommissar mir zu, »sehen zwar
ganz adrett aus, aber ich will nicht wissen, was die mit Ihnen gemacht hätten.«
»Vielen Dank für die Rettung, Herr Kommissar.«
»Die war aber nicht uneigennützig.«
»Na schön, was schulde ich Ihnen?«
»Ich hätte gern gewusst, was Sie hier zu suchen haben, Herr Frings.«
Düsseldorf trat an das Fenster, aber nicht, um das Panorama zu genießen,
sondern um sein Spiegelbild zu betrachten und ein paar Nasenhaare zu zupfen.
»Ich wundere mich natürlich ein wenig, dass ausgerechnet Sie zur Fangemeinde
dieser Partei gehören.«
»Mein Interesse ist eher beruflicher Natur.«
»Seit wann gehören Mordschauplätze zum Betätigungsbereich eines
Berufsweihnachtsmannes?«
»Also handelt es sich um Mord?«
»Was denken Sie denn? Sehen Sie sich den Kerl doch an. Dem hat jemand
Gift verabreicht. Sie haben meine Frage nicht beantwortet.«
»Der Weihnachtsmannjob war undercover. Ich ermittele für eine
Klientin. Die Frau des Verblichenen.«
»Frau Noteboom ist Ihre Klientin?«
»Sie heißt Tiedemann. Die Notebooms bekamen Weihnachtskarten, die
ihnen nicht gefielen. Also soll ich herausfinden, wer sie geschrieben hat.«
»Weihnachtskarten? Erzählen Sie mir mehr dav–«
Es klopfte. Die Tür wurde einen Spalt weit geöffnet. Hillgruber warf
mir einen missbilligenden Blick zu und bedeutete Düsseldorf mit einer Geste,
ihm kurz zur Verfügung zu stehen.
»Entschuldigen Sie mich einen Moment.« Der Kommissar verließ den
Raum, und ich betrachtete die weihnachtlichen Lichter der Großstadt. Und einen
kraushaarigen Kerl in einer unsportlichen Winterjacke, dem ich, wäre ich eine
attraktive Frau gewesen, schon wegen seiner zu großen Nase kaum Beachtung
geschenkt hätte: mein Spiegelbild. Düsseldorf kehrte zurück und erlöste mich
aus diesem ernüchternden Moment der Wahrheit.
»Ich muss Sie bitten, Frings, die Sache diskret zu behandeln, schon
im Sinne der Demokratie. Kein Wort an die Presse, bevor es nicht
hundertprozentig feststeht. Vor allem: keine ungebetenen Augenzeugen.«
»Warum sollte ich mit der Presse reden? Mich interessiert lediglich,
wer den Mann ermordet hat.«
»Das werden wir noch herauszufinden haben. Heute gilt jedenfalls:
keine voreiligen Schlüsse ziehen. Noteboom ist tot, mehr können wir noch nicht
sagen.«
»Doch. Zum Beispiel, dass er vergiftet wurde.«
»Vielleicht hat er sich auch selbst das Leben genommen.«
»Sich selbst vergiftet? Herr Kommissar, ich wundere mich. Sehen Sie
sich den Kerl doch an.«
»Wie auch immer. Ob er Opfer eines Unfalls wurde oder nicht, steht
zur Stunde noch nicht fest.«
Dass Düsseldorf in seiner Wortwahl immer mehr in die Diktion
unverbindlicher Pressemitteilungen abdriftete, wertete ich als kein gutes
Zeichen.
»Eines Unfalls?«
»Lebensmittelvergiftung. Was glauben Sie, wie viele Opfer verdorbene
Lebensmittel fordern?«
»Besonders bei Kindern unter sechs Jahren ist die Quote beängstigend
hoch«, nickte ich.
Dem Kommissar stand der Sinn aber nicht nach Scherzen. »Hören Sie
auf, sich über mich
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