Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi
besetzt waren – für einen Moment vermeinte ich, Hauptkommissar
Düsseldorf entdeckt zu haben. Aber die wurden herbe enttäuscht: Susann
Bolzenius betrat in einer betont sachlichen schwarzen Hose und einem
hochgeschlossenen dunkelgrauen Blazer den Saal und begab sich mit einer
höflichen Verbeugung an den Vorlesetisch. Unglaublich: Alle hatten ein Sexluder
erwartet, und was bekamen sie? Eine Nonne. In den Männerreihen entstand Unruhe,
offenbar wollten die ersten schon gehen. In diese unruhige Stille hinein
erklang, fast schüchtern, die magische, seidenweiche Stimme der Autorin. Sie
zog die Hörer von der ersten Sekunde an in ihren Bann. Und ihre kurvenlose,
betont prüde Kleidung war das Tüpfelchen auf dem i. Wen interessierte schon, was sie sagte? Da waren nur die üblichen Schweinereien der
erotischen Literatur, detailgenaue Beschreibungen von Genitalien, garniert mit
allerhand Feuchtigkeiten, Glitschigkeiten und Klebrigkeiten bis zum Abwinken.
Aber das Schärfste war, dass diese abgedroschenen Tabubrüche still und
bescheiden vorgetragen wurden, von einem unschuldigen, nonnengleichen Wesen!
All die Bücherfreunde, die sich für zu kultiviert hielten, um zu Hause den
Erotikkanal einzuschalten, konnten hier fraglos viel Versäumtes nachholen.
In der fünfzehnminütigen Pause konnte man sich an der Bar mit
Erdnüssen und alkoholfreiem Bier erfrischen. Ich stellte mich in die Schlange
vor dem Tresen, da zupfte mich jemand an der Jacke.
Hinter mir stand eine Frau. Sie trug eine etwas zu große Brille und
hatte das blonde Haar hexengleich zu einem Kranz geflochten. »Hey, dich kenne
ich doch«, sagte sie. Mir kam sie ebenfalls vage bekannt vor.
»World of Christmas«, sagte sie. »Du hattest den Job als
Weihnachtsmann und hast behauptet, du wärst eigentlich Privatdetektiv.«
»Elaine«, erinnerte ich mich wieder. »Stimmt. Aber ich bin wirklich
Privatdetektiv.«
»Echt? Und, hast du es dem Arsch schon gezeigt?«
»Was gezeigt? Und welchem Arsch?«
»Mönninghoff natürlich. Der missbraucht Frauen, und das muss
aufhören.«
»Ich hatte den Eindruck, dass er sich mehr aus Männern macht.«
»Wen interessiert das schon? Mönninghoff schickt Frauen auf den
Strich und er und sein Chef verdienen sich dämlich.«
Ich bekam meine Erdnüsse und gab ihr eine Handvoll ab. »Auf den
Strich?«
»Weihnachtsfrauen statt Weihnachtsmänner. Das ist ihre geniale
Geschäftsidee. Der Laden boomt. Ohne das wäre ›World of Christmas‹ längst
pleite.«
»Ich bin kurz davor, die beiden festzunageln«, behauptete ich. »Wie
findest du übrigens die Lesung?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Ich verdiene mir was dazu als freie
Lokalreporterin, sonst wäre ich nicht hier. Und du?«
»Ich ermittle in einem Mordfall, und Frau Bolzenius ist vielleicht
darin verwickelt.«
»Klar«, sagte sie und glaubte mir schon wieder kein Wort.
Am Schluss wurde es doch noch interessant. Nicht wegen »Mamas
Muschi« – Susann Bolzenius ließ sich die üblichen Fragen zuwerfen: wie sie auf
die Idee für das Buch gekommen sei, ob sie schon an einem neuen schreibe und ob
die Handlung autobiografisch sei. Gerade viel hatte sie dazu nicht zu sagen,
aber ihr Agent, ein blonder Schönling, betonte, der Autorin sei es wichtig,
sich als moderne Frau zu präsentieren, die zwar nicht verdorben, aber ganz
schön aufgeschlossen sei. Und dass sie in dieser Hinsicht zweifellos ein
Vorbild für alle modernen, aufgeschlossenen Frauen sein könne.
Endlich löste sich die Veranstaltung auf. Frau Bolzenius ließ sich
erneut am Vorlesetisch nieder und erwartete, mit Schreibwerkzeug bewaffnet, die
Fans, um sie mit einer Widmung zu beglücken. Einen von ihnen erkannte ich:
Hauptkommissar Düsseldorf, er war es tatsächlich. Als er mich entdeckte, schien
er es plötzlich eilig zu haben und ließ sein Exemplar von »Mamas Muschi« in der
Manteltasche verschwinden.
»Herr Kommissar!«, rief ich. »Ich wusste ja gar nicht, dass Sie
literarisch interessiert sind.«
»Bin ich auch nicht«, wiegelte er ab. »Das Buch ist ein
Weihnachtsgeschenk für meinen Schwiegervater. Ein Literaturprofessor und
glühender Fan von Susann Bolzenius.« Er winkte mir flüchtig zu und tauchte in
der Menge unter.
Eine Weile hielt ich nach Elaine Ausschau, aber ich konnte sie
nirgends entdecken, also machte ich mich auch auf den Heimweg. Stapfte durch
das winterlich verschneite Dorf in Richtung Ausgang. Dann hörte ich plötzlich
die bekannte seidenweiche Stimme und blieb stehen.
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