Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi
er. »Für so was würde ich sogar zahlen.«
»Also ich werde dann mal wieder, Jan«, sagte ich. »Danke für den
Kaffee. Und versprich mir, nichts Unüberlegtes zu tun.«
»Unüberlegtes? Was meinst du damit, Ole? Warum sollte ich etwas
Unüberlegtes tun?«
»Egal. Tu’s einfach nicht.«
Er folgte mir nach draußen auf die Straße. »Hermine war übrigens
immer schon so. Willst du wissen, warum wir damals Schluss gemacht haben?«
»Na klar.«
»Weil ich nicht mehr schlafen konnte. Irgendwann hat sie mal
gedroht, sie würde mich umbringen, falls sie mich jemals mit einer anderen
erwischen würde. Ich habe das für einen Scherz gehalten, war mir aber nicht
ganz sicher. Und dann habe ich was mit einer gehabt. Nicht der Rede wert, und
sie hat es ja auch nie erfahren.«
»Und trotzdem hast du mit ihr Schluss gemacht?«
»Nicht deshalb, sondern wegen ihrer kalten Augen, die jede Nacht an
die Zimmerdecke starrten. Mit der Zeit war ich mir nicht mehr sicher, ob sie
nicht doch etwas ahnte. Und ich hatte Angst davor, ihr den Rücken zuzukehren.
Verstehst du, dieses Misstrauen hält keine Beziehung aus. Eines Tages hatte ich
keine Lust mehr, quasi unter einem Fallbeil zu schlafen.«
»Deshalb hast du Schluss gemacht.«
»Ich sag dir, Ole, diese Frau ist der Teufel. Aber da ist sie nicht
die Einzige.« Mit einem bösen Blick in Richtung Nebenhaus kam er zu seinem
Thema zurück.
Ich winkte zum Abschied. »Dein Fahrrad habe ich an die Hauswand
gelehnt.«
Zum ersten Mal lächelte Gorbitsch. Es war kein freundliches Lächeln,
eher ein hämisches. »Das ist kein Fahrrad, Ole. Das ist Schrott. Und du wirst
es mir ersetzen.«
13
Was kümmerte es mich, wenn Gorbitsch wegen ein paar
kleiner Kratzer an seinem Rad einen solchen Aufstand machte? Schon eine Stunde
später hatte ich ein anderes. Allerdings nicht gerade ein neues, und es war
auch nur bedingt fahrtüchtig. Vor gut zwei Jahrzehnten, als Aristides in
Begleitung einer deutschen Griechenland-Urlauberin von Kreta nach Deutschland
übergesiedelt war, um in Münster einen Gastronomiebetrieb zu eröffnen, hatte
er, wie hier vielerorts üblich, das Rad mit einem Holzbrett versehen, auf dem
mit selbst gemalten Lettern Taverna Pitsidia, griechische
Spezialitäten stand, und es in Bahnhofsnähe an einen Laternenpfahl
gekettet – die kostengünstigste Art der Plakatwerbung. Eines Tages war es von
einem einparkenden Pkw gerammt worden. Seitdem konnte man den Lenker nicht mehr
nach links bewegen, aber dafür funktionierte das Licht tadellos. Am Abend, kurz
nach den Nachrichten, radelte ich mit dem Ding in Richtung Aasee, genauer
gesagt zum Mühlenhof, wo Susann Bolzenius heute, am dritten Advent, aus ihrem
aktuellen Roman »Mamas Muschi« vorlesen würde.
Der Mühlenhof war ein Museumsdorf mit schmucken Fachwerkhäuschen und
einer Windmühle aus der guten alten Zeit, als nachts draußen noch die Wölfe
heulten, Räuberbanden die Gegend unsicher machten und man morgens beim ersten
Schritt aus der Tür über frei laufende Hühner stolperte. Als Mädchen noch ihre
Aussteuer nähten, Schmiede noch schmiedeten und Lehrer mit der Weidenrute
unterrichteten. Unbestrittenes Prunkstück der Anlage war der Gräftenhof, ein
Fachwerkbau aus dem 18. Jahrhundert, dessen geräumigen Salon
zahlungskräftige Kundschaft für Hochzeiten oder runde Geburtstage buchen
konnte. Oder für Lesungen von Skandalautorinnen.
Die Veranstaltung war ausverkauft. Es wimmelte von
Bildungsintellektuellen in hellem Anzug und bunter Krawatte, aufgetakelten
Mittvierzigerinnen im kleinen Schwarzen, aber auch Ökos in wallenden, selbst
gefärbten Wollsachen. Ein smarter TV -Literaturexperte
war extra aus Stuttgart angereist, um Lobhudeleien über den neuen Stern am
Himmel der deutschen Gegenwartsliteratur abzusondern, einen Stern, der sich nicht
scheute, Tabus zu brechen, über weibliche Lust und schmutzigen Sex zu
schreiben. Endlich mal ein junges, frisches Talent in einer Zeit, da man mit
deutscher Gegenwartsliteratur immer noch alte Herren verbinde, deren
abgestandenen Mundgeruch man vom ersten Wort ihrer Prosa an praktisch
einzuatmen vermeine. Eine steile Karriere, wie sie Klassiker des Jugendbuches à
la Harry Potter hingelegt hätten, könne man auch der nicht jugendfreien
Literatur nur wünschen, wobei er sich mit dem Begriff jugendfrei etwas
schwertue.
Die Zuhörer waren entsetzt und neugierig zugleich. Das schien
besonders für die vordersten Reihen zu gelten, die praktisch ausschließlich von
Männern
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